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141 strömungen des Wilhelminismus prägte sich das Evolutionsdenken in der deutschen Rechtsgeschichte nicht so sehr in Gestalt dieser soeben umrissenen Richtung aus, die auf eine universelle historisch-ethnologische Komparatistik zielte. Verbreitet und weithin das Forschungsinteresse bestimmend war vielmehr eine andere, wohl auch stärker darwinistisch beeinfluGte Ausrichtung des rechtsgeschichtlichen Evolutionismus: der Gedanke eines genetischen Zusammenhanges der Rechte innerhalb des germanischen und des indogermanischen Sprachraums, darstellbar durch Stammbäume der germanischen Rechte." Vergleichung konzentrierte sich unter dieser Perspektive auf die scheinbar verwandten Völker und die Abstammungsfamilien ihrer Rechte. Mit dem indogermanischen Sprachraum griff sie zwar iiber den europäischen Kulturkrets hinaus und beriihrte sich zuweilen durchaus mit den Ansätzen der „ethnologischen Jurisprudenz”. Ein Beispiel dafiir gibt die Arbeit des Romanisten Paul Koschaker iiber die Eheformen bei den Indogermanen." Die weiterreichende Perspektive komparatistischer Arbeit, wie sie Bachofen, Kohler oder Post vorgezeichnet hatten, geriet demgegeniiber im 20. Jahrhundert schon bald im Grofiteil der deutschen rechtshistorischen Literatur aus dem Blick oder verfiel scharfer Ablehnung. Die erweiterten Möglichkeiten, die die Fortschritte aussereuropäischer Feldforschungen im Rahmen der sich zur eigenständigen Disziplin herausbildenden Ethnologic boten (in Deutschland mafigeblich gefördert von Leo Frobenius), blieben so in der rechtshistorischen Literatur zumeist ungenutzt; vermittelnde Ansätze wie der Thurnwalds waren nunmehr Ausnahmen und konnten sich sodann in der Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr fortentwickeln. Eine Riickbesinnung auf die fast verschiittete ältere Tradition der Verbindung rechtshistorischer und ethnologischer Forschung scheint heute geboten. Doch so reichhaltig und auf Einzelgebieten anregend noch fur die Gegenwart die ältere ethnologisch-historische Vergleichung ist, kann die heutige Rechtsgeschichte keinesfalls mehr bruchlos an sie anschliefien. Der Grund liegt nicht nur im zeitlichen Abstand und der zwischenzeitlichen Vorherrschaft ganz anderer rechtshistorischer Konzeptionen in Deutschland. Unabhängig davon und weit iiber Deutschland hinaus haben sich vielmehr die wissenschaftsgeschichtlichen Voraussetzungen, unter denen die ältere Komparatistik und ,,ethnologische Jurisprudenz” entstanden waren, gewandelt. Zweifelhaft geworden ist heute nicht nur im erkenntnisleitenden Vorverständnis der Forschung beispielsweise der Gedanke des Fortschritts und des kulturellen ,,Aufstiegs”, der der ethnologisch-historischen Vergleichung die Form einer Abfolge von Kulturstufen gab. Fragwiirdig werden mufite dariiber hinaus iiberhaupt die objektivistisch-generalisierende Darstellung von Grundziigen der Rechts- '' D.izu nocli umen bei Anm. 52. P. Koschaker, Die Ehetormen bei ilen Indogerm.men, Deutsche L.tndesreter.ite zum2. Intern.it. Kongreis tur Rechtsvergleichung, 1937, S. 77 tt.

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