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130 Wissenschaft soil sich nur mit ,,sicheren Belegen” beschäftigen und sie in einer vorgegebenen Kausalkette zusammenbinden. Soil die Rechtsgeschichte eine Wissenschaft an sich sein, mufi sie danach streben, die zwei Seiten der Wissenschaft zu vereinigen, einerseits den Stoff, andererseits die Form, die ideale Seite. Den Stoff in seine richtige Formzu giessen, stellt gleichzeitig eine Begrenzung dar, fur die die Vernunft sich entschieden hat. Savigny hat den Weg zu einer wahren Rechtswissenschaft in dieser historisch-philosophischen Dialektik gesehen: Ein zweifacher Sinn ist demJuristen unentbehrlich: der historische, um das Eigentiimliche jeden Zeitalters und jeder Rechtsform scharf aufzufassen, und der systematische, um jeden Begriff und jeden Satz in lebendiger Verbindung und Wechselwirkung mit dem Ganzen anzusehen, d.h. in demVerhaltnis, welches das allein wahre und natiirliche ist.^ Diese Ziel sei dann erreicht, wenn die Darstellung eine eigene, selbständige Form hat, und zugleich den Stoff zu lebendiger Anschauung bringt."* In diesem letzten Zitat hat Savigny eine Verbindung zwischen Objekt- und Subjektwelt ausgedriickt, mit der er Riicksicht sowohl auf den Stoff und seine inneren Möglichkeiten als auf die kreative Vernunft, die Formnimmt. Savigny stellt weiter auf eine einleuchtende Weise fest, dafi der iiberwiegende Einflufi des bestehenden Stoffs auf keine Weise vermeidlich ist aber es wird uns verderblich sein, solange wir ihm bewufitlos dienen, wohltätig, wenn wir ihm eine lebendige bildende Kraft entgegensetzen (....) oder ob eine griindliche Wissenschaft uns lehren soli, diesen historischen Stoff frei als unser Werkzeug zu gebrauchen.^ Unterricht und Forschung sollten sich auf die Einiibung dieser kreativen Seite statt auf den Stoff konzentrieren, da der Stoff ohne die Kreativität der Vernunft etwas Abgegrenztes und Totes wird. Wenn die Rechtsgeschichte mehr als etwas, was ,,schon dem Leben abgestorben” ist (Feuerbach), sein will, mub sie in der Forschung ebenso wie im Unterricht danach streben, dieser Qualität eine Grundlage zu geben, die die Voraussetzung eines produktiven, wissenschaftlichen Denkens ist: ,,Lerne nur, umselbst zu schaffen”. Ohne dieses Ziel wird man nur eine Maschine, die einen umfassenden historischen Stoff lernt, ohne einen akzeptablen Zweck angeben zu können. Man mul^ Rechtsgeschichte so wie alle anderen Wissenschaften ohne Riicksicht auf äulsere Zwecke betreiben, erst dann wird der Weg zu einer freien, lebendigen und schöpferischen wissenschaftlichen Tätigkeit geöffnet. ^ Thibaut und Savigny, S. 125. ■* Thibaut und Savigny, S. 125. ^ Thibaut und Savigny, S. 163.

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