119 Kunsthistoriker Georg Dehio hat 1905 in seiner Schrift ,Denkmalschutz und Denkmalpflege imneunzehntenJahrhundert’ die Denkmalpflege als die ,,echte Tochter”, das Restaurationswesen als das ,,illegitime Kind” des Historismus bezeichnet. ,,Sie werden oft miteinander verwechselt und sind doch Antipoden”.'°' Die von Dehio bezeichneten Auseinandersetzungen fiber notwendige Denkmalpflege und fragwiirdiges Restaurationswesen wurzeln tief im19. Jahrhundert.'°‘ Zugleich verweist Dehios Fragestellung auch auf die entsprechenden Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts, die Gegenwart unserer Tage eingeschlossen. Denn die Auseinandersetzung mit dem Historismus als ,,umstandslos kopierter Vergangenheit” und die in vielen Windungen verlaufenden Wege der Architektur zwischen Historismen und Neuerungen sind ein zentrales Thema gegenwärtiger Kontroversen imStädtebau, die umdas ,,Paradoxon historistischen Bauens” kreisen: ,,Rucksichtsloser Abrifi der Alten - ausgenommen bedeutende Denkmäler der, je energischer er vorangetrieben wurde, um so heftigere Verlustgeffihle hervorbrachte, die wiederum durch die Pseudogeschichtlichkeit der Neubauten beschwichtigt wurden”.'°'^ ser aktuelle Sachverhalt weist auf die spezifisch modernen Bewufitseinslagen in der Kunst hin, auf die Spannung zwischen der Auslieferung an geschichtlich vermittelte Ausdrucksformen und der völligen Abstofiung des Geschichtlichen in einer Kunst, die nichts will, als der Gegenwart verbunden zu sein. (3) Auch die in der Bundesrepublik jiingst gefiihrten Kontroversen fiber die Beurteilung des Nationalsozialismus haben offensichtlich mit dem Problem des Historismus und mit der universalen Historisierung zu tun. In einem 1985 veröffentlichten ,Plädoyer fiir eine Historisierung des Nationalsozialismus’ hat Martin Broszat das Thema deutlich angeschlagen und die Frage gestellt, „wie es mit der Historizität des Nationalsozialismus selbst steht, ob das geschichtliche Verstehen vor ihm haltmachen kann”. Broszat warf diese Frage auf in der ausdrficklich erklärten Absicht einer ,,Hinwendung zu Authentizität und Konkretheit auch des Moralischen in der Geschichte”. Den Sinn seines Plädoyers fur eine Historisierung des Nationalsozialismus sah Broszat tfeshalb gerade in einer „moralischen Sensibilisierung der Historie”.'“ Auch die105 Die bei Broszat 101 Dcr Text ist abgedruckt bei; N. Husk, Denkmalpflege. Deutsche Texte aus drei Jahrhunderten, 1984, S. 139 ff., das Zitat ebd. S. 141. Dazu die griindliche Darstellung bei N. Huse, (wie Anm. 101). EmBeispiel fur den Sachverhalt beleuchtet N. Borger-Keweloh, Die mittelalterlichen Dome im 19. Jahrhundert, 1986. D. Bartet/ko, Verbaute Geschichte. Stadterneuerung vor der Katastrophe, 1986, S. 106. Ebd. S. 205. Von den vielfältigen Darstellungen des Problems und den Stellungnahmen dazu sei genannt: C. Meckseper - H. Siebfnmorgen (Hg.), Die alte Stadt; Denkmal oder Lebensraum?, 1985. 10.3 105 Dariiber vor allem W. Hoemann, Das Irdische Paradies. Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts, 1974. Reiches Material zumThema bietet U. Krings. Bahnhofsarchitektur. Deutsche Grofistadtbahnhofe des Historismus, 1985. M. Broszat, Plädoyer fiir eine Historisierung des Nationalsozialismus, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift fur europäisches Denken 39 (1985), S. 373 ff., die Zitate ebd. S. 379 und 385.
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