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108 erörtern. Dariiber hat sich Weber abschliefiend in seinem Vortrag ,Wissenschaft als Beruf’ von 1919 geäu{?ert.^° Wissenschaft wird hier abermals vom Unendlichkeitsgedanken her definiert. Das „Gesetz” der Wissenschaft ist nicht ,,der Fortschritt”, sondern der ,,Fortschritt in das Unendliche”, was etwas anderes ist. Die Wissenschaft ist ein ,,ins Unendliche laufender Betrieb”, ihr Zweck ist deshalb geradezu das Veralten und Uberholtwerden. „Wissenschaftlich . . . iiberholt zu werden, ist . . . nicht nur unser aller Schicksal, sondern unser aller Zweck”.Das ,Leben’ hingegen wird definiert als der Bereich der Werte, der Bereich des Urteilens, des Entscheidens und des Handelns, dessen Kennzeichen die Irreversibilität darstellt. Auf die entscheidende Lebensfrage - Was sollen wir tun? Wie sollen wir leben? - kann die Wissenschaft deshalb keine Antwort geben. ,,Die Tatsache, dafi sie diese Antwort nicht gibt, ist schlechthin unbestreitbar”.^^ In sich gesehen ist die Wissenschaft deshalb sinnlos. Sie kann, wie Weber gerade im Blick auf die „historischen Kulturwissenschaften” und die Geschichtswissenschaft darlegt, weder ihren eigenen Sinn aus sich begriinden, noch kann sie den Sinn ihrer Gegenstände darlegen, noch kann sie aus sich heraus die Frage beantworten, ob es iiberhaupt sinnvoll sei, von diesen Gegenständen etwas zu wissen.’^ Deshalb ist die Wissenschaft auf das Leben, d.h. auf den Bereich der Wertsetzungen, des Entscheidens und des Handelns angewiesen. Wertsetzungen konstituieren wissenschaftliche Fragen, wissenschaftliche Fragen können nur durch Wertsetzungen konstituiert werden. Denn, wie Weber schon 1904 in seinemObjektivitätsaufsatz darlegte, nur durch ,,die Beziehung der Wirklichkeit auf Wertideen” ist es möglich, aus jener absoluten Unendlichkeit des Geschichtlichen iiberhaupt etwas herauszuheben und als eine ,,historische, d.h. eine in ihrer Eigenart bedeutungsvolle Erscheinung” zu erkennen.^"^ Die Erkenntnis der ,,Lebenserscheinungen in ihrer Kulturbedeutung” setzt die „Beziehung der Kulturerscheinungen auf Wertideen” voraus.^^ Das Entscheidende dabei ist, dab ,,der Gedanke einer Erkenntnis individueller (d.h. historischer) Erscheinungen” nur durch die Voraussetzung iiberhaupt logisch sinnvoll wird, „dafi ein endlicher Teil der unendlichen Fiille der Erscheinungen allein bedeutungsvoll sei”.^^ Daraus folgt Webers abschliessende Feststellung, die sich 1904 gewissermafien vorwegnehmend gegen Troeltschs Kultursynthese wendet: ,,Es gibt keine schlechthin ,objektive’ wissenschaftliche Analyse des Kulturlebens oder . . . der ,sozialen Erscheinungen’ unabhängig von speziellen und ,einseitigen’ Gesichtspunkten, nach denen sie M. Weber, Wissenschaft als Beruf (1919), m: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 582 ff. Ebd. S. 592 f. Ebd. S. 598. ” Ebd. S. 600. Weber, Objektivität, S. 176f. ” Ebd. S. 175. Ebd. S. 177.

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