106 gen” ergibt sich, wie Weber scharf akzentuiert, ,,die absolute Sinnlosigkeit des Gedankens einer ,AbbiIdung’ der Wirklichkeit durch irgendeine Art von Wissenschaft”. Wissenschaftliche Erkenntnis ist vielmehr stets eine Auslese unter spezifisch gesonderten Gesichtspunkten, und nur ein ,,vorkntischer Standpunkt der Betrachtung” kann diesen Sachverhalt verkennen, dafi nämlich ,,die intensive Unendlichkeit alles empirisch gegebenen Mannigfaltigen” die Voraussetzung der in jeder empirischen Wissenschaft vollzogenen Stoffauslese darstellt."*' Weber geht also wie Nietzsche vom Gedanken der Unendlichkeit der Wissenschaft aus, und er gibt wie Nietzsche die Annahme einer Ubereinstimmung von Erkenntnis und Sache (adaequatio intellectus et rei) preis. Freilich folgt Max Weber in seiner Ablehnung der Idee der ,Objektivität’ im Sinne wahrer Wiedergabe von historischer Wirklichkeit Nietzsche nicht auch darin, dafi nun wissenschaftliche Erkenntnis beliebig sei, d.h. dal? sie bedingungslos dem Leben zu dienen und dessen Impulsen zu folgen habe. Im Gegensatz zu Nietzsche bezieht Max Weber vielmehr einen genuin kantischen Ståndpunkt, im Nachvollzug von Kants ,,Revolution der Denkart” nämlich, dal? nicht die Erkenntnis den Gegenstanden folgt, sondern vielmehr die Gegenstände der Erkenntnis folgen, dal? die Gegenstände also Hervorbringungen der Erkenntnis sind/^ Mit den Worten Max Webers: „Nicht die ,sachlichen’ Zusammenhänge der ,Dinge’, sondern die gedanklichen Zusammenhänge der Probleme liegen den Arbeitsgebieten der Wissenschaften zugrunde”/^ Die von der Erkenntnis hervorgebrachten Gegenstände sind jedoch nicht beliebige, sie sind nicht willkiirliche Hervorbringungen, sondern sie beruhen auf empirischer Arbeit, d.h. auf der Arbeit am historischen Material. Wissenschaftliche Erkenntnis ist also Hypothesenwissen, ist Entwurfswissen, aber es handelt sich dabei umein empirisch vorgehendes und empirisch gestiitztes Entwurfswissen, wie Kant in der Vorrede zur zweiten Auflage der ,Kritik der reinen Vernunft’ von 1787 mit der Metapher der ,Zweihändigkeit’ der Erkenntnis und mit seiner Metapher vom Richter und vomZeugen ausgedriickt hat.'*'* An diesem Punkt wird sehr deutlich, in welch fundamentaler Weise sich Webers Antwort auf Nietzsches Problemstellung von der eigenen Antwort Nietzsches und zugleich von der Antwort Troeltschs unterscheidet. Troeltsch selbst hat iibrigens diesen Unterschied hervorgehoben, indem er die Grundlage seiner Kultursynthese von einemdezidiert vorkantischen Standpunkt aus bestimmte, also genau jenen von Max Weber infragegestellten ,,vorkritischen Ståndpunkt der Betrachtung” einnahm.'*^ Nach Troeltsch ist eine ■*' M. Weber, Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalokonomie (1903/06), in: ders., Gesammelte Aufsatze zur Wissenschaftslehre, S. 75 Anm. 1 u. S. 92 Anm. 1. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, V'orrede zur zweiten Aullage (1787), B XlII-B XVll. Weber, Objektivitat, S. 166. S. oben Anm. 42. S. oben Anm. 41. Troeltsch stiitzt sich insbesondere aut die „Leibnizische Monaden- und die
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