97 bei Troeltsch verstanden als ,,die grundsätzliche Historisierung unseres Wissens und Denkens”, als ,,die grundsätzliche Historisierung alles unseres Denkens iiber den Menschen, seine Kultur und seine Werte”.'’ ' Das Problem der umfassenden Historisierung imSinne von Troeltsch wurde bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts von Karl Marx bezeichnet^ und seit den 1840er Jahren vor allem von Jacob Burckhardt eingehender beschrieben, auch imHinblick auf die Entstehung des Problems durch den Traditionsbruch, aus dem die Moderne hervorging und der mit einem tiefgehenden Verlust der Wertselbstverstandlichkeiten verkniipft war/ mit einem umfassenden „Sturz von Moralen und Religionen”.* Die Folgen des Vorgangs fiir die Theorie der historischen Erkenntnis hat dann seit der Mitte der 1850er Jahre Johann Gustav Droysen in seiner Historik immer wieder analysiert und zusammengefafit in dem Satz; ,,Das historische Forschen setzt die Einsicht voraus, dafi auch der Inhalt unseres Ich ein vielfach vermittelter, ein geschichtliches Resultat ist”.’ Damit waren fiir die Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus als der grundsätzlichen Historisierung unseres Wissens und Denkens zwei Probleme benannt, nämlich (1) das Wertproblem oder das Problemdes Relativismus, und (2) das Objektivitätsproblem, d.h. die Frage nach den Bedingungen und der Möglichkeit historischer Erkenntnis und nach der Art dieser Erkenntnis. In ihremZusammenhang und ihrer Verkniipfung wurden die beiden Fragen zum erstenmal 1874 umfassend erörtert, von Friedrich Nietzsche in seiner Schrift ,Vom Nutzen und Nachteil der Historie fiir das Leben’.’° Die Durchsetzung dieser Fragestellungen und ihre vielfältige Erörterung trat dann seit den 1880er Jahren deutlicher und in vielfältiger Hinsicht zutage.” In alien diesen Diskussionen ging es immer umden zentralen Punkt der Bestimmung des Wissenschaftscharakters der Historie, um die Theorie der historischen Erkenntnis, um die Frage, wie historische Erkenntnis möglich sei. Es ging, mit den Worten WilhelmDiltheys gesprochen, umdie Kritik der historischen Vernunft.'“ Diese Diskussionen und Debatten verliefen in zahlreichen Phasen und Schiiben bis 1932 und hatten ihren unverkennbaren Höhepunkt gegen Ende ^ E. Troeltsch, Der Historismus und seine Probleme (Gesammelte Schriften 3), 1922, Neudr. 1977, S. 9 u. 102. K. Marx, Thesen iiber Feuerbach, These 6 und 7, in: H.-J. Lieber - P. Furth (Hg.), Karl Marx, Friihe Schnften 2, 1971, S. 2 f. ^ Dazu W. Hardtwig, Kunst und Geschichte imRevolutionszeitalter. Historismus in der Kunst und der Historismusbegriff der Kunstwissenschaft, in: Archiv f. Kulturgeschichte 61 (1979), S. 154 ff., hier S. 172 ff. * J. Burckhardt, Uber das Studium der Geschichte, hg. von P. Ganz, 1982, S. 229. ^ J. G. Droysen, Grundrils der Historik (1857/58), hg. von P. Leyh, 1977, S. 399. F. Nietzsche, Vom Nutzen und Nachteil der Historie fiir das Leben (1874), in: Nietzsche Werke. Kritische Gesamtausgabe, hg. von " Zumfolgenden eingehender Oexle (wie Anm. 4), Abschnitt 2. W. Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften (1883) (Gesammelte Schriften 1), 1979 G. Colli - M. Montinari IIl/l, 1972, S. 239 ff. S. IX.
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