94 des 19. Jahrhunderts wurde die Militärgesetzgebung ganz oder zumindest iiberwiegend durch reine Parteipolitik und Parteitaktik in einer verteidigungspolitisch gesehen aufierordentlich komplizierten Situation vorangetrieben. Mängel militärischer Rechtssicherheit wurden als Argument zur Verhinderung einer Modernisierung und Verstärkung der Verteidigungsorganisation verwendet. Das hatte zur Folge, dafi die Gesetzgebung dieser Zeit primär von Zielsetzungen dominiert wurde, die neben oder zum Teil fern von den eigentlichen Rechtsfragen zu suchen sind. In einer eher traditionellen rechtswissenschaftlichen Analyse wurden diese politischen und sozialen Faktoren nur als juridisch irrellevanter Hintergrund oder als Nebengleis betrachtet werden. Man kann auch, so wie das z.B. in Preufien der Fall war, fiir das schwedische Recht feststellen, dafi der Soldatenstand eine eigene Berufsethik besaB. Angehörige des Militärs waren einer besonderen Kriegsgesetzgebung unterworfen und wurden selbstverständlich von eigenen Gerichten abgeurteilt. Eine eingehendere Analyse der militärischen Rechtsregeln und der sozialen Funktion der militärischen Institutionen ergibt jedoch bei einemVergleich mit den allgemeinen Rechtsverhältnissen mehr Ähnlichkeiten als Abweichungen hinsichtlich des letzteren Bereichs. Es lä£t sich nämlich deutlich feststellen, da£ Bemiihungen seitens des Militärs, nach preuBischem Vorbild ein völlig autonomes System der Militärgesetzgebung zu schaffen, ohne Erfolg blieben. Als meiner Meinung nach interessantes Ergebnis, im Sinne von Hurst, ergibt sich folgendes: Voraussetzung fiir die Existenz des Militärrechts und besonders des Disziplinarrechts als gut funktionierende gesellschaftliche Elemente war die Homogenität der sozialen Struktur. Während des ganzen 19. Jahrhunderts wurden die Organe der Gesetzgebung von einer gesellschaftlichen Minderheit beherrscht, die trötz interner Gegensätze und Konflikte durch bedeutende gemeinsame Interessen vereint war. Diese Interessen wirkten im Sinne einer Beibehaltung der Militärrechtssysteme. Nach dem Zerfall der sozioökonomischen und politischen Voraussetzungen umdie Jahrhundertwende entfielen aber sozusagen die sozialen und politischen Fundamente der alten Rechtsinstitute und Rechtsinstitutionen. Militärrecht und Disziplinarwesen waren in ihrer bisherigen Forman der Schwelle zur Demokratie nicht zu vertreten. Der Durchbruch der Demokratie hatte zur Folge, dafi ein an vordemokratische Verhältnisse angepafites Recht nicht mehr brauchbar war. Die Rechtsentwicklung läfit sich daher in erster Linie als Folge einer neuen sozialen Situation erklären und verstehen. Die traditionelle Institutsgeschichte hat dagegen fast keinen Beitrag zur Erklärung einer solchen Rechtsentwicklung leisten können. Ich meine daher, dafi man mit Hilfe eines theoretischen Modells, das dem von Hurst ähnelt, oder besser gesagt: mit Hilfe einer solchen ,,Theoriestruktur” eine Reihe von Untersuchungen solcher Art vornehmen könnte, so daB sich daraus ein neues Bild der sozioökonomischen Bedingtheit des Rechts ergeben könnte, und wir somit
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