Hans Thieme 6 eigenen, groBenteils naturrechtlich begrundeten Lösungen zu beantworten gesucht. Eben dieses Nachdenken dariiber, was Recht sein soli, vermag uns Pufendorf heute noch zu lehren. Es ist kein Zufall, daB sein Buck ,De officio hominis ac civis‘, erstmals Londoni Scanorum, also bier in Lund 1673 erschienen, in iiber hundert Ausgaben und in zahlreichen Ubersetzungen noch bis 1834, also noch nach 160 Jahren immer wieder gedruckt, kommentiert und vor allem auch als Schulbuch verwendet wurded^ Die Anregung, die davon ausging, die ,DenkanstöBe‘, wie man heute sagt, sind nicht zu iibersehen und lassen sich verfolgen bis in die Kodifikationen der Zeit des spaten Naturrechts. Und wir sind in Europa dank Samuel von Pufendorf der Herausbildung ubereinstimmender Rechtsuberzeugungen von Petersburg bis nach Lissabon und Madrid, von Schottland und Skandinavien bis nach Italien näher gewesen als heute in der Zeit von Europarat, europaischem Parlament und europaischer Wirtschaftsgemeinschaft. Ein ,einheitliches Kaufrecht' gab es zum Beispiel schon damals! Und an der Erklärung der Menschenrechte, an der Bill of Rights von Virginia (12. 6. 1776) hat Pufendorf mitgewirkt! So lehrt uns demnach das Naturrecht, juristisch denken zu lernen ohne uns durch Gesetze und Entscheidungen gefangen nehmen zu lassen, und dariiber zu sinnieren, was eigentlich recht sein soli. Es lehrt uns, die irrationalen Grundlagen des Richteramts nicht zu iibersehen und in gewissem Umfang doch auch immer wieder elne schöpferische Tätigkeit zu entfalten. Das ist eln bleibender Gewinn: es bedeutet einen echten Fortschritt fiir Bei Denzer S. 359 ff. sind nicht nur diese Ausgaben aufgefiihrt, sondern er bietet S. 296 ff. auch eine Ubersicht beziiglich dcs Naiurrechts als Unterrichtsfach an den deutschen Universitäten. Sie könnte unter Einbcziehung der französischen Ubersetzungcn von Pufendorfs Werken durch Jean Barbeyrac —auf österreichische, schweizerische Universitäten und auf solclie zahlreicher anderer Länder erweitert werden. Vgl. dazu auch H. Thieme, Das Naturrecht und die europäische Privatrechtsgeschichte, 2. Aufl. Basel 1954 sowie W. Habscheid, ,J. J. Burlamaqui und seine Principes du Droit nature!', in: Staat und Gesellschaft. Festgabe fur Gunther Kiichenhoff, Göttingen 1967. DaB das Naturrecht ,als Inbegriff der Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie zu den Lehrgegenständen eines Gymnasiums gehörte', hat A. Hollerbach in seinem Beitrag ,Die Juridica in der Bibliothek des Rastatter Gymnasiums' (in: Humanitas. 150 Jahre LudwigWilhelm-Gymnasium Rastatt, Rastatt 1958) dargetan; vgl. hierzu auch H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 2. Aufl., Miinchen 1980 S. 191. Und es ist der Erwähnung wert, daB H. Maier einerseits der Lehrer H. Denzers und anderseits als Kultusminister fiir den von der bayrischen Verfassung fiir alle Schuler, die nicht am Religionsuntcrricht tcilnehmen, vorgesehenen Untcrricht iiber die allgemein anerkannten Grundsätze der Sittlichkeit zuständig ist. Vgl. hierzu den Aufsatz von H. Welzel ,Ein Kapitel aus der Geschichte der amerikanischen Erklärung der Menschenrechte. John Wise und Samuel Pufendorf.' in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festschrift fur Rudolf Smend, Göttingen 1952. Wieder abgedruckt in dem im Lit.-Verz. angefiihrten Sammelband ,2ur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte', Hg. R. Schnur.
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