Hans Thieme 4 auch untereinander gleich, wie es sparer die französische Revolution annahm? Noch einmal zitieren wir Goethe, diesmal mit einemVers von 1785: Allen gleichen wir uns, denn wir sind eines Geschlechts, Allen gleichen wir nicht sagt einemjeden das Herz. Bei Pufendorf finden wir zum Gleichheitsgrundsatz richtunggebende Feststellungen, so etwa, wenn er sagt: ,Viel weniger erlaubt es die Gleichheit der Menschen, daB von Natur ein Mensch sich ein Recht iiber einen anderen Menschen anmaBt/" Die natiirliche Gleichheit bedeutet bei Pufendorf keine unnatiirliche Gleichmacherei, keine fiktive Gleichheit der von Gott gegebenen Veranlagung oder Herkunft, sondern eben nur eine Rechtsgleichheit im Sinne von Selbstbestimmung, Menschenwiirde und Riicksichtnahme auf den Anderen. So heiBt es etwa bei Pufendorf: ,Jeder Mensch muB, soviel in seiner Macht steht, das friedliche Zusammenleben mit andern pflegen und bewahren im Einklang mit der Anlage und dem Ziel des ganzen Menschengeschlechts.*® Die Hilfsbediirftigkeit, die ,imbecillitas‘ des Menschen, seine Unvollkommenheit notigt ihn zu jener wechselseitigen Unterstiitzung, die wir heute ,Mitmenschlichkeit‘ nennen.® Unter dem Zusammenleben, der ,socialitas‘ versteht Pufendorf ,die Zuordnung des Menschen zu jedem beliebigen andern Menschen, womit er ihm durch Wohlwollen, Friede, Liebe sowie durch gegenseitige Verpflichtung verbunden erscheint‘,^° So wird also der Gleichheitsgrundsatz bei Pufendorf ebenso auf verniinftige Grenzen beschränkt wie durch das Gebot der socialitas erganzt, die ein unverriickbares Prinzip menschlicher Koexistenz, sowohl der Einzelnen wie auch der Völker, sein soil. Wahrlich ein heute noch aktuelles Gebot! ,Das Gesetz der Humanitat oder der Liebe und die zwischen den Menschen abgeschlossenen Verträge mit ihren Pflichten und Leistungen ergänzen sich gleichsam gegenseitig, und was man nicht aus Liebe be- ^ De Jure Naturae et Gentium (DJNG) 111,5,3; vgl. Denzer S. 87. ® DJNG 11,3,15; vgl. Denzer S. 145. ® HierUber vgl. E. Wolf, GroBe Rechtsdenker S. 347, Denzer S. 92 f. Das von Pufendorf DJNG 11,3,14 zitierte Wort ,Homo in adjutorium mutuum generatus est‘ stammt von Seneca. DJNG 11,3,15; vgl. auch H. Welzel, Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, Berlin 1958 S. 51. In seinem Vortrag ,Zum Aufbau und Sinnwandel unseres Privatrechts', Tubingen 1957 —jetzt wieder abgedruckt in ,Ideologie und Wahrheit in der Jurisprudenz*, Frankfurt 1973 — hat F. v. Hippel auf das ,Sozialprinzip‘ bei Pufendorf hingewiesen, das ,mit dem christlichen Grundgebot unverschränkter Nächstenliebe letzthin gleichbedeutend ist‘, und hierzu auf den Satz in Pufendorfs Vorwort zu ,De officio hominis et civis' (DOFIC) § 12 Bezug genommen: ,Summa legis Salvator noster ad duo capita redegit: Dilige Deum et Dilige proximum. Ad haec capita referri potest universa Lex Naturalis, tarn in integro, quam in corrupto statu hominum.* Vgl. auch DJNG 111,4,1.
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