430 weder gezielt auf die in der deutschen Literaur oft vorkommenden „Missverständisse“ der schwedischen Verfassung oder auch behauptend, dass die ausländischen Verfasser — natiirlich imGegensatz zu den schwedischen — bewusst die naturrechtlichen Gebote verfälschten, urn ihrer Obrigkeit entgegenzukommen. Nichtdestoweniger war, als die schwedische Disziplin konstruiert wurde, die Abhängigkeit von der deutschen Doktrin gross: so war Samuel Pufendorf unumstritten die fiihrende Autorität, wenn die sozialen Zusammenhänge erklärt werden sollten. Seine Gedanken wurden an der Universität Halle weiterentwickelt, an der der Lunder Juristenprofessor David Nehrman Ehrenstråle studierte und der auch nachweislich der Professor fiir schwedisches Staatsrecht in Uppsala Nils Risell, einen, wenn auch sehr kurzen, Besuch abstattete. Auch diirften die regelmässigen und von der Obrigkeit gern gesehenen Vorlesungen iiber das jus publicum imperii romano-germanici an den schwedischen Universitäten dazu beigetragen haben. Als die schwedische staatsrechtliche Theorie während der 50er Jahren des 18. Jahrhunderts die Gedanken auf einen Herrschaftsvertrag zwischen gleichberechtigten Parteien zum Vorteil einer Gesellschaftsauffassung aufgab, die auf der Volkssouveränität beruhte, hatte dies eine Verringerung der Relevanz ausländischer Literatur zur Folge. Das schwedische Partikularstaatsrecht wurde sowohl von der älteren, klassischen Literatur als auch von der neueren deutschen und franzöischen isoliert. Montesquieu wurde vom Juristenprofessor Daniel Solander in Uppsala zitiert, vom Lunder Universitätskanzler, Reichsrat Nils Palmstierna jedoch abgelehnt. In Lund sah Palmstierna amliebsten, dass alle ausländischen Schriftsteller - ja, sogar lateinische Fachausdriicke - vermieden wurden. Statt dessen sollte man fleissig die vom Reichstag im Jahre 1755 herausgegebene Zeitschrift En ÄrligSwensk verwenden, in der dialogisch die Grundgesetze in Ubereinstimmung mit der Auffassung der Reichstagsmehrheit ausgelegt wurden. Auch die Verrechtlichung des Faches war eine Folge dieser isolationistischen Politik: von den Juristen wurde erwartet, dass sie sich im höheren Masse als ihre Kollegen in der philosophischen Fakultät nach dem Wortlaut der Grundgesetze richten sollten ohne sich von belanglosen ausländischen Spekulationen verleiten zu lassen. Aus zeitgenössischen Stellungnahmen der Staatsrechtslehrer ist es aber nachweisbar, dass man sich der deutsch-römischen Wurzeln der Disziplin durchaus bewusst war. Einfliisse englischen Denkens kamen vor, spielten aber imakademischen Unterricht nur eine bescheidene Rolle - der Beitrag Lockes fiir das Verständnis der Verfassung soil, trotz der schwedischen Ubersetzung von Two treatises, nicht iibertrieben werden. Direkt untragbar, sowohl aus religiösen wie politischen Griinden, war Hobbes mit seinemMenschenbild und seiner Begiinstigung des Absolutismus’. Die konstitutionelle Ordnung des Staates fiihrte mit sich, dass die Rechte der Untertanen als Teilnehmer der politischen Entscheidungen nach und nach
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