320 Beweismittel zu systematisieren, die in einemProzefi vorkommen konnten. Im Geist der Zeit teilte man sie in logische Kategorien ein. Der Beweis, probatio, wurde als genus verstanden, das in mehrere species eingeteilt werden konnte, die ihrerseits in Unterabteilungen zerfallen konnten. Diese species wurden von der höchsten, d. h. dem besten Beweis, bis zur niedrigsten, der schlechtesten eingeteilt. Dieser abgestuften Beweisskala entsprach eine hierarchische Prozefiordnung. Die schwersten Strafsachen verlangten Beweis, probatio, die pienissima, indubitata, luce meridiana clarior war, während gewöhnliche dispositive Zivilsachen auf grund vonprobatio plena entschieden werden konnten. In weniger wichtigen Sachen konnten sogar probationes semiplenae ausreichen. Ganz unten auf die Beweisskala wurden die Indizien plaziert. Diese Abstufung und arithmetische Berechnung des Beweiswertes der verschiedenen Beweisarten und diese hierarchische Prozefiordnung hatte eine zentrale Stellung auch im späteren römisch-kanonischen Recht, was sich u. a. aus den Arbeiten vonJosephus Mascardis und Jacobus Menochios, beide italicnische Rechtsgelehrte des 16. Jahrhunderts, ergibt. Auf bestimmten Gebieten entwickelte und vertiefte man die Ideen, die die mittelalterlichen Kanonisten und Legisten lanciert hatten, aber vor allemsummierte man die Ergebnisse der Arbeiten friiherer Rechtsgelehrter und bildete auf diese Weise in mancherlei Hinsicht das letzte Glied einer langen Entwicklungskette. Nicht zuletzt gait das fiir die Begriffe notoriumund confessio. Auch die Prozel^rechtsliteratur in Deutschland vom Ende dcs Mittelaltcrs bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts zeigt starke Einfliisse des römisch-kanonischen Rechts, wie es insbesondere in Italien entwickelt worden ist. Sehr deutlich wird das beimRechtsinstitut des Geständnisses. Die romisch-kanonische Abstufung und arithmetische Berechnung des Beweiswertes bei den verschiedenen Arten der Beweismittel bildete ihrerseits die Grundlage der legalen Beweistheorie, die im Mittelalter entwickelt wurde. Bei Mascardi ist sie voll ausgebildet, und bei ihm findet man auch die eigentliche Terminologie. Zugleich mit der Entwicklung der legalen Beweisregeln wurde vor allem durch Innozenz III. der inquisitorische Prozefi in das kanonische Recht eingefiihrt. Die Anwendung der legalen Beweisregeln mit der abgestuften Beweisskala und die Einfiihrung des Inquisitionsverfahrens fuhrten zur Anwendung der Folter. ImJahr 1252 heft Innozenz IV. die Folter bei den Inquisitionsgerichten zu. Der Richter durfte nämlich nicht nach seiner eigenen Uberzeugung urteilen sondern nur nach vorgebrachten Beweisen, debet sententiamjerre non secundumconscientiamsed secundumallegata. War der Verdacht gegen eine Person, die schwerer Verbrechen beschuldigt wurde, sehr stark, bemiihte man sich nachdriicklich um vollen Beweis, und zum vollen Beweis, probationes plenae, zahlte das eigene Geständnis wie auch Aussagen von zwei iibereinstimmenden Zeugen. Die Aussage nur eines Zeugen wurde nur als halber Beweis gerechnet.
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