240 haben die veröffentlichten Sammlungen von Entscheidungen der letzten Instanz sogar zu einer uniiberlegten Gebundenheit an Präjudizien gefiihrt. Wie sparer Reuterskiöld macht Wrede einen Unterschied zwischen Liicken ausfullender und Gesetz auslegender Praxis, Ekström kann aber diesemUnterschied nicht zustimmen. Ein gemeinsames Charakteristikum der nordischen Darstellungen von der Rechtsprechung als Rechtsquelle im späten 19. und friihen 20. Jahrhundert ist die ausgeprägt praktische Einstellung, die auch theoretische Einwände verstummen läl^t; diese Einstellung findet man auch in einigen friiheren Darstellungen. Auch die dänische Doktrin, die in der Theorie völlig negativ zu der Gerichtspraxis als einer Rechtsquelle war, räumt in verschiedenen Reservationen der Praxis eine Stellung zu, die sich von derjenigen in der Doktrin der anderen nordischen Länder nicht unterscheidet. Diese Doktrin geht einen goldenen Mittelweg: Präjudizien vor allem des obersten Gerichtshofes haben eine grol^e tatsächliche Bedeutung, absolut bindend seien sie jedoch nicht. Die Natur der Gebundenheit wird nie definiert. Klar ist nur, dal? sie nicht eine Amtspflicht ist; einige Autoren scheinen an ein Gefiihl der Gebundenheit zu denken. Die Einteilung in einzelne Präjudizien und eine feste Praxis kommt recht oft vor; letzten Endes hat sie jedoch nur wenig reale Bedeutung. Die Aufwertung der Rechtsprechung in der nordischen Rechtsquellenlehre ist keine Folgeerscheinung der Doktrin der historischen Schule, deren Einstellung zur Gerichtspraxis iibrigens ambivalent war. Dagegen mul? man die Bedeutung der besseren Qualität der Richterschaft und der immer häufigeren Veröffentlichungen von Rechtsfällen hervorheben. Schon in den 60er Jahren betont man die Recht schaffende und Liicken ausfiillende Aufgabe des Richters (Aubert). Dieser Gedanke kommt noch friiher in den Schriften 0rsteds vor; in den Darstellungen um die Jahrhundertwende weist man jedoch gerne auf die deutsche Doktrin und insbesondere auf Biilow hin. Die negativste Einstellung zur Rechtspraxis findet man nicht unerwartet in der finnischen rechtswissenschaftlichen Literatur: während der sog. zweiten Unterdriickungsperiode am Anfang dieses Jahrhunderts wurde der oberste Gerichtshof teilweise russifiziert. In der heutigen Literatur bezeichnet man die Rechtswissenschaft als eine Rechtsquelle von bescheidener und nur indirekter Bedeutung; die Doktrin könne jedoch die Richter beeinflussen. Man betont wie schon Savigny, dal? die Doktrin von gröl?ter Bedeutung in den Untergerichten sei, wo ein Einzelrichter in Zeitnot oft auf die Doktrin angewiesen ist. Man ist sich nicht dariiber einig, ob der Grund dieser Rechtsquelle die Autorität der Autoren oder die Wichtigkeit der Argumente, „die innere Wahrheit“, (Aarnio; auch schon Puchta) ist. In der Rechtsquellenlehre des 18. Jahrhunderts wurde die Rechtswissenschaft nie als eine Rechtsquelle bezeichnet; in der nordischen Doktrin ist diese Rechtsquelle neueren Datums und z. B. noch 0rsted kennt sie nicht. Wenn es
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