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238 Dänemark, die ersten Sammlungen von Rechtsfällen veröffentlicht. Bis zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts waren jedoch die Urteilsbegriindungen des obersten Gerichtshofes sowohl in Dänemark als in Norwegen geheim, was die Anwendbarkeit der Präjudizien dieser Gerichte erheblich verminderte. Am Ende des Jahrhunderts werden schon in sämtlichen nordischen Ländern Entscheidungen des obersten Gerichtshofes regelmäl^ig in Zeitschriften und Sammlungen von Rechtsfällen veröffentlicht. 0rsted, selbst ein Herausgeber mehrerer juristischen Zeitschriften, hob in seiner Rechtsquellenlehre die Bedeutung der Rechtsprechung des obersten Gerichtshofes hervor, obwohl er nie expressis verbis die Gerichtspraxis als eine Rechtsquelle bezeichnete. Die positive Einstellung zur Rechtsprechung ist offenbar von 0rsteds Vorstellungen von den beschränkten Möglichkeiten des Gesetzgebers abhängig: die Ausfiillung von Liicken im Gesetz sei eine wichtige Aufgabe der Gerichte. 0rsted fordert zwar nicht eine absolute Gebundenheit an die Entscheidungen des obersten Gerichtshofes, er behauptet aber jedoch, daf? ein Richter in erster Instanz, der nicht dieser Entscheidungen Folge leiste, sich „einer falschen und schädlichen Selbständigkeit“ schuldig mache; die Entscheidung einer unteren Instanz habe auch nur eine „provisorische Giiltigkeit“. 0rsted erwähnt bereits die noch heute vorkommenden Argumente fiir eine Gebundenheit an Präjudizien, Rechtssicherheit, Autorität der Gerichte und eine Ersparnis an Prozebkosten, während seine Betonung der Tatsache, dal5 die Urteile des obersten Gerichtshofes im Namen des Königs verkiindet werden, ein mehr zeitgebundenes Argument ist. Larsen wiederholt die Ansichten 0rsteds, während Bornemann schon deutlich negativer ist. Nichts berechtige den Richter, an die bindende Kraft friiherer Urteile zu glauben, und der Richter habe keine Gesetzgebungsgewalt; eine feste Praxis sei jedoch eine Rechtsquelle als eine Art Gewohnheitsrecht. In Norwegen warnt Brandt noch in den 50er Jahren vor einer einseitigen Gebundenheit an Präjudizien ohne theoretische Kenntnisse; einige Jahre später betont er aber, dals die Gerichtspraxis und die Prä)udizien em wichtiger Teil des Gewohnheitsrechts seien, weil sie ein Teil der wissenschaftlichen Tätigkeit der Juristen seien. Die Kraft der Präjudizien beruhe auf „der Notwendigkeit einer Kontinuität“, weshalb man nicht eine Dauer wie beim Gewohnheitsrecht erfordern könne. In Schweden wiederholt Schrevelius die Auffassung der historischen Schule: die Gerichtspraxis sei em Teil des Juristenrechts. Mehrere iibereinstimmende Präjudizien insbesondere des obersten Gerichtshofes haben einen nicht geringen Einflufi auf die Entwicklung des Rechts. In Finnland werden die alten Bedenken noch von Palmén wiederholt (1855), die Vorstellungen 0rsteds finden jedoch völlige Zustimmung in einemAufsatz Lagus’ (1860). Die nordischen Autoren um die Mitte des 19. Jahrhunderts befiirworteten eine Gebundenheit an Präjudizien vor allem aus praktischen Erwägungen, obwohl man die Darstellung gerne mit einer angemessenen Auswahl der Argu-

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