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236 In Dänemark hält man an der alten Ablehnung eines gesetzwidrigen Gewohnheitsrechts fest, und seit Deuntzer wird auch die Möglichkeit eines Gewohnheitsrechts gegen Dispositivgesetze vcrworfen. Nicht einmal Bentzon konnte sich von dieser Auffassung völlig lostrennen. Nur in Dänemark vertrat man noch ausnahmsweise die alte Vorstellung von der stillschweigenden Genehmigung des Gesetzgebers als Geltungsgrund des Gewohnheitsrechts. Die Unterschiede innerhalb der als traditionell bezeichneten Lehre bestehen vor allem zwischen der dänischen und der norwegischen Doktrin, während die selbständigen Leistungen der schwedischen und finnischen Rechtswissenschaft bescheiden waren. Der Stellenwert des Gewohnheitsrechts in der norwegischen Rechtsquellenlehre war wahrscheinlich eine Folgeerscheinung der starken Stellung der Gerichte; gerade in Norwegen wurde ja die Gerichtspraxis oft als ein Teil des Gewohnheitsrechts angesehen. Die Divergenzen in der dänischen und norwegischen Doktrin am Anfang dieses Jahrhunderts sind noch heute in den Vorstellungen von der traditionellen Rechtsquellenlehre bemerkbar. Stuer Lauridsen bezeichnet die stillschweigende Genehmigung des Gesetzgebers als Geltungsgrund des Gewohnheitsrechts und ein Anerkennen eines Gewohnheitsrechts nur praeter, nicht aber contra legem als Kennzeichen der traditionellen Lehre; diese Behauptung ist richtig jedoch nur in Bezug auf die dänische Rechtswissenschaft und imerstgenannten Falle sogar nur auf einen einzigen Autor (Goos). Sowohl in Norwegen als in Dänemark riigt man weiter das Aufstellen fester Voraussetzungen in der traditionellen Lehre vom Gewohnheitsrecht. Diese Kritik ist teilweise berechtigt, aber sie betrifft eigentlich nur die Lehre der Anhänger der historischen Rechtsschule umdie Mitte des vorigenJahrhunderts, während die Lehre schon umdie Jahrhundertwende auf völlig „moderne“ Weise die Bedeutung des richterlichen Ermessens betonte. Auch Autoren, die oft als Beispiele traditioneller Vorstellungen genannt werden (Hagerup, Platou), schlieBen sich dieser Richtung an. Der von Stuer Lauridsen getadelte Versuch, Usancen und Gewohnheitsrecht voneinander zu unterscheiden, ist dagegen neueren Datums und wurde als Vorarbeit einer realistischen Rechtsquellenlehre gemacht. Letzten Endes gibt es keine gröBeren realen Unterschiede zwischen der heutigen Lehre vom Gewohnheitsrecht und derjenigen vor etwa hundert Jahren. IV. Bekanntlich ist der Begriff „Juristenrecht“ bzw. „wissenschaftliches Recht“ von der historischen Schule erfunden worden; dieJuristen schaffen als Vetreter des Volkes neues Recht. Dieses wissenschaftliche Recht kann entweder in der Praxis oder in wissenschaftlichen Werken entstehen. Fiir die historische Schule war die Rechtswissenschaft offenbar eine wichtigere Rechtsquelle als die

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