232 Prinzip, die wichtigste Rechtsquelle. Die gemeinsame Rechtsiiberzeugung des Volkes und nicht die Ubung wurde als die eigentliche Grundlage, als Entstehungsgrund des Gewohnheitsrechts bezeichnet. Man behauptete, das Gewohnheitsrecht babe die gleiche Kraft wie die Gesetze; nur Puchta akzeptiert jedoch ohne Einschränkungen eine vollständige Gleichberechtigung bei einer Kollision. Gegen Ende des Jahrhunderts hat man allmählich die radikalsten Vorstellungen vom Gewohnheitsrecht fallenlassen; so wurde z.B. die Lehre von der Volksiiberzeugung als ausreichendem Entstehungsgrund des Gewohnheitsrechts als „spiritualistisch“ abgelehnt. In den zwei nordischen Staaten im 18. Jahrhundert, Dänemark-Norwegen und Schweden-Finnland, war schon die gesetzliche Grundlage einer Anerkennung des Gewohnheitsrechts verschieden. In Dänemark wurden einige Bestimmungen im Gesetzbuch, Danske Lov von 1683, als ein Verbot des Gewohnheitsrechts ausgelegt. In Schweden-Finnland wurde dagegen das Gewohnheitsrecht als eine subsidiäre Rechtsquelle anerkannt. In Kap. 1 §11 des prozefirechtlichen Abschnittes im Gesetzbuch von 1734 wurde der Richter verpflichtet, nach „Landessitte, die nicht unbillig war,“ zu urteilen, wenn es keine Gesetzesvorschriften gab. Nehrman (1729), Rabenius (1760) und Calonius (um 1780) beantworteten bejahend die Frage, ob das Gewohnheitsrecht die Kraft eines Gesetzes hatte {ins scriptum— ins non scriptnm); demGewohnheitsrecht wurden jedoch ziemlich enge Grenzen gesetzt. Nach alien Autoren ist erstens eine mindestens stillschweigende Genehmigung des Gesetzgebers eine notwendige Voraussetzung; auberdemverlangt man eine allgemeine, lange andauernde Ubung, und die Gewohnheit darf weder gesetzwidrig noch unverniinftig sein. Trotz der Vorschrift in Kap. 1 § 11 des prozel^rechtlichen Abschnittes im Gesetzbuch von 1734 anerkennen Rabenius und Calonius die desnetudo. Norregard verneint (1784), dal^ das Gewohnheitsrecht in Dänemark die Kraft eines Gesetzes haben könnte. Er gewährt jedoch dem Gewohnheitsrecht einen allerdings anspruchslosen Platz in seiner Rechtsquellenlehre. Gewohnheiten haben „ziemlich viel Kraft“ als „Vorsichtigkeits- und Klugheitsregeln“, jedoch nur in Fallen, die weder imWortlaut, Grund noch Zweck des Gesetzes enthalten seien. Diese Lehre vomGewohnheitsrecht wird noch 1813 von Hurtigkarl wiederholt. Trotz verschiedener Gesetzgebungen ist die nordische Lehre vomGewohnheitsrecht im 18. Jahrhundert ziemlich einheitlich. In der schwedisch-finnischen Doktrin beurteilte man zwar die Möglichkeit eines Gewohnheitsrechts contra legem positiver; wegen der Vorschift im Gesetzbuch von 1734 waren aber die Aussagen recht vieldeutig. In der danischen Lehre waren die Gewohnheiten als Vorsichtigkeits- und Klugheitsregeln nicht absolut bindend; schon das Gesetz in Schweden-Finnland erlaubte aber dem Richter, die Billigkeit der Gewohnheit zu priifen.
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