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230 Forderung Ross’, indem die Grundlage der Rechtsquellenlehre deskriptiv ist. Heutzutage ist man aber der Meinung, daft den Forderungen Ross’ schon dadurch Geniige geleistet wird, dafi normative Stellungnahmen ausdriicklich als solche bezeichnet werden. Normative Aussagen kommen auch nicht selten vor. Ross’ Auffassung ist insoweit berechtigt, dafi man in der Literatur des 19. Jahrhunderts tatsächlich niemals den Unterschied zwischen Deskription und normativen Aussagen wahrnahm, und dab deshalb ein Durcheinander von deskriptiven und normativen Stellungnahmen in den Darstellungen zu herrschen scheint; ein Hinweis auf die wirklichen Verhältnisse wurde bisweilen als ein letztes Argument verwendet. Weil aber auch in der heutigen Literatur normative Stellungnahmen oft vorkommen, ist dieses Kriteriumwohl kaumunterscheidend genug. Eher konnte man von einer realistischen bzw. einer idealistischen Rechtsquellenlehre sprechen. Schon im friihen 19. Jahrhundert war eine realistisch betonte Rechtsquellenlehre vorherrschend (0rsted), während im späten 19. Jahrhundert gerade in der danischen Doktrin eine idealistische Rechtsquellenlehre vorkam(Goos). Sonst wurde die nordische Rechtsquellenlehre gegen das Ende des Jahrhunderts eher mehr realistisch, weil eine Rechtsquellenlehre der Richter die friihere sozusagen frei schwebende Lehre allmählich ersetzte. Die Rechtsquellenlehre Bentzons kann dies beleuchten. Bentzon wird in der heutigen Literatur teils als ein Beispiel veralteter Anschauungen, teils als ein Bahnbrecher der modernen Rechtsquellenlehre angefiihrt. Ross hat Bentzon hoch geschätzt, weil dieser trotz der zeitgebundenen Vermischung von deskriptiven und normativen Aussagen seine Rechtsquellenlehre auf den Vorstellungen des Richters basierte. Tatsächlich ist Bentzons erste Darstellung der Rechtsquellenlehre vom Jahre 1898 durchaus „modern“; sie ist aber nur im Vergleich mit der damaligen von Goos beherrschten danischen Doktrin etwas entscheidend Neues, während in den anderen nordischen Ländern eine realistisch geprägte Rechtsquellenlehre spätestens seit den 80er Jahren zunehmend Bedeutung bekam. Trotz aller Variationen kann man von einer einheitlichen nordischen Rechtsquellenlehre des 19. Jahrhunderts reden. Schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts trat eine terminologische Anderung ein, indem der neue Begriff der Rechtsquelle angenommen wurde. Die Definitionen dieses Begriffes zeigen die vielleicht gröbten Unterschiede zwischen den Autoren; der Versuch, den Begriff irgendwie metaphysisch zu verankern, bleibt aber lange ein gemeinsames Merkmal. Auch dieselben Rechtsquellen kommen immer vor: Gesetz, Gewohnheitsrecht, Gerichtsgebrauch, „Geist der Gesetze“, d.h. Analogie und allgemeine Rechtsprinzipien, Doktrin und Natur der Sache. Der vom Autor gewählte Begriff der Rechtsquelle entscheidet dann, ob diese Faktoren als eigentliche Rechtsquellen oder Hilfsquellen bezeichnet werden. Eine interessante

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