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71 Wissenschaft. Der Grad an unmittelbarem Einflufi auf das Volksleben, den die Tätigkeit der einzelnen Fakultät auszuiiben vermochte, war entscheidend fiir deren Rang und Wert. Die Unabhängigkeit des wissenschaftlichen Argumentationsgrundes war fiir den gemeinen Mann unendlich weniger verlockend als der Anspruch der höheren Fakultäten, das zu befördern, was Kant als die natiirliche Zwecksetzung des Volkes bezeichnete. Denn die theoretische Freiheit hatte zwar auch fiir diesen ihren Wert, ,,das Volk aber setzt sein Heil zu oberst nicht in der Freiheit, sondern in seinen natiirlichen Zwecken, also in diesen drei Stiicken: nach dem Tode selig, im Leben unter andern Mitmenschen des Seinen durch öffentliche Gesetze gesichert, endlich des physischen Genusses des Lebens an sich selbst (d.i. der Gesundheit und langen Lebens) gewärtig zu * c( 14 sein . Der gesetzwidrige Kampf zwischen den Fakultäten bedeutete nicht nur, daB die philosophische Fakultät gezwungen wurde, die Bestimmung „untere“ zu tragen - dariiber hinaus wurden die oberen Fakultäten dazu getrieben, während des Verlaufs dieses Streites, einander in der Fähigkeit, das natiirliche Streben des Menschen zufriedenzustellen, zu iibertreffen zu suchen. Kant brachte das Streben der oberen Fakultät, unter Beibehaltung der fast magischen Kraft des wissenschaftlichen Argumentationsgrundes, die Ausgestaltung einer Lehre zu legitimieren, den Anspruch an die Niitzlichkeit zu erfiillen, durch die Schilderung einer Stimme aus der Volksmasse zumAusdruck: „Die drei obern Fakultäten werden nun vomVolk (. . .) aufgefordert, ihrerseits Propositionen zu tun, die annehmlicher sind: und da lauten die Anspriiche an die Gelehrten, wie folgt: Was ihr Philosophen da schwatzet, wufite ich längst von selbst; ich will aber von euch als Gelehrten wissen: wie, wenn ich auch ruchlos gelebt hätte, ich dennoch kurz vor demTorschlusse mir ein Einlafibillett ins Himmelreich verschaffen, wie, wenn ich auch unrecht habe, ich doch meinen Prozel^ gewinnen, und wie, wenn ich auch meine körperlichen Kräfte nach Herzenslust benutzt und mibbraucht hätte, ich doch gesund bleiben und lange leben könne. Dafiir habt ihr ja studiert, daft ihr mehr wissen miifit als unsereiner (von euch Idioten genannt), der auf nichts weiter als auf gesunden Verstand Anspruch macht. - Es ist aber hier, als ob das Volk zu dem Gelehrten wie zum Wahrsager und Zauberer ginge, der mit ubernaturlichen Dingen Bescheid weib . . . Daher ist natiirlicherweise vorauszusehen, dafi, wenn sich jemand fiir einen solchen Wundermann auszugeben nur dreust genug ist, ihmdas Volk zufallen und die Seite der philosophischen Fakultät mit Verachtung verlassen werde. Die Geschäftsleute der drei oberen Fakultäten sind aber jederzeit solche Wundermänner, wenn der phdosophischen nicht erlaubt wird, ihnen öffentlich entgegenzuarbeiten, nicht um ihre Lehren zu sturzen, sondern nur der magischen Kraft, die ihnen und den damit verbundenen Observanzen das Publikum abergläubisch beilegt, zu widersprechen, als wenn sie bei einer passiven Ubergebung an solche kunstreichen Fiihrer sich alles Selbsttuns iiberhoben und mit gro(k*r Gemächlichkeit durch sie zu Erreichung iener angelegenen Zwecke schon wcrde geleitet werden.“ AaO. S. 340. AaO. S. 340 f.

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