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56 Die natiirliche Ausdrucksweise der reflexionsphilosophischen Vernunft wird von Begriffen ausgemacht, die die Rolle des Erkenntnissubjekts hauptsächlich als passiv darstellen. Die kantianische Vernunft gibt sich mit der theoretischen Bestimmung ihres Stoffes zufrieden und nimmt vom ,,wirklich machen“ mit einer Bereitwilligkeit, die ihre Alienation enthiillt, Abstand. Diese Beurteilung wird in Kritik der Urteilskraft bekräftigt; aus Kants Ansatz zur Geschichtsphilosophie, der friiher erwähnten Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbiirgerlicher Ahsicht, geht bereits aus der Formulierung der Uberschrift die prinzipielle Unfähigkeit der Vernunft, Erkenntnis zu produzieren, hervor. Nach Schellings Auffassung war es die Ungewohntheit der blofi reflexionsphilosophischen Vernunft, alle Gegenteile als Gegensätze aufzufassen - Gegensätze, die umjeden Preis beseitigt werden mufiten, damit die Vernunft sich nicht in Widerspriiche verstricken wiirde- die deren prinzipielle Passivität verursachte. Wenn die reflexionsphilosophische Vernunft sich damit begniigte, philosophisch zu reflektieren, so ist dies allein ein Ausdruck fiir ihre Unfähigkeit, eine Relation zwischen Allgemeinem und Besonderem zu konstruieren. Das Erkenntnissubjekt vermochte dadurch nicht einmal seine eigenen objektiven Erscheinungsformen zu identifizieren. Mit dem absoluten Vernunftsstandpunkt als Grundlage fiir das Handeln des Erkenntnissubjektes war dies doch eine Notwendigkeit; Schelling hatte nämlich festgestellt, dafi ,,das Absolute auch jene oberste Voraussetzung des Wissens und das erste Wissen selbst ist.“ Die Fähigkeit der absoluten Vernunft eine dialektische Verbindung zwischen Allgemeinemund Besonderem herzustellen, fiihrte vor allem mit sich, dab das Interesse damit auf das Streben der Vernunft, einen objektiven Ausdruck fur seine Eigenart zu finden, gerichtet wurde. Dieser von seinem Anwendungspotential geprägte Vernunftsstandpunkt erkannte der menschlichen Vernunft die Fähigkeit zu, Einheit in Vielfalt zu schaffen; das Erkenntnissubjekt schuf während des Verlaufs des Erkenntnisprozesses seine eigene Welt. Dutch die Konstruktion der Idee als einer konstituierenden Einheit in der stofflichen Vielfalt, wurde der Vernunft ein möglicher theoretischer Grund fiir ihr Handeln gegeben. Das philosophische Reflexionsvermögen des kantianischen Verstandes ging in die freie Tatkraft der absoluten Vernunft iiber. Von der absoluten Position aus gesehen, wurde der vordem nur angenommene Grund fur vernunftgemässes Handeln und wissenschaftliche Entwicklung zu der historischen Anwendung einer philosophisch bestimmten Absicht der Natur verwandelt. Die Vernunft hatte die Möglichkeit bekommen, alle Teile der Erkenntnis mit der schöpferischen Kraft ihres charakteristischen Widens zu durchdringen. Erst damit wurde die Anforderung an die Anwendung des Argumentationsgrundes der freien Wissenschaft in den akademischen Disziplinen erfiillt, denn ,,frei nun ist )ede menschliche Thätigkeit nur, wenn die Bestrebungen des Wollens, die in ihr als lebendige Kraft wirksam sind, ungehindert dutch fremde Gewalten sich in ihrer Eigenart und

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