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37 Das kantianische Naturrecht stellte nur ein Beispiel der Vermischung von entgegengesetzten Erkenntnisarten dar, die die Folge des äufieren Gegensatzes in der Philosophie zwischen reiner Vernunftserkenntnis und Objekterkenntnis waren. Die Schwäche der kritischen Vernunft spiegelte sich direkt in der Unfähigkeit der Naturrechtstheorie ihre Grenze gegeniiber der empirischen Rechtslehre aufrechtzuerhalten. Die kantianischen Philosophen waren umgekehrt gezwungen, die metaphysische Struktur mit einemunubersehbaren materiellen - juristischen — Inhalt zu fiillen. Dadurch geschah es, daft sie die Voraussetzungen, die Kant fiir wissenschaftliche Tätigkeit aufgestellt hatte, iiberschritten; sie begingen den dogmatischen Irrtum."^ Die Vertreter der positiven Rechtslehre wurden ihrerseits dazu getrieben, ihre Disziplin mit einem äufieren wissenschaftlichen Schein zu versehen, umzusätzlich deren Ansehen zu erhöhen. Diese Koppelung zwischen dem empiristischen Verfahren in der Rechtslehre und der Philosophie, verletzte die Eigenart der wissenschaftlichen Argumentation. Die Unfähigkeit der kantianischen Vernunft Einheit im Wissen zu schaffen, fiihrte zu einer unkontrollierten Zunahme von empirischer Erkenntnis und zu einem belastenden Ubergewicht des Stoffes im Erkenntnisprozeft. Damit bewahrheiteten sich Kants Besorgnisse, dafi sich die einheitschaffende Kraft der Vernunft verirren und in dem Labyrinth der stofflichen Fiille verlieren wiirde""* - paradoxal genug aufgrund der Unfähigkeit der kantianischen Erkenntnistheorie, ihre urspriingliche Absicht zu erfullen, namlich einen Schutz gegenfiber demEmpirisimus darzustellen. Die Unvollkommenheit der kritischen Vernunft bedeutete auBerdem, daB die philosophische Reflexion als nahezu sinnlos angesehen werden muBte — eine Bewertung, die ebenso in der selbstgewählten Isolation der Disziplin wie in der Auffassung, daB die wissenschaftliche Methode nur eine abschlieBende Vorbereitung fiir den Erwerb der empirischen Erkenntnis darstellte, begriindet war. Im letztgenannten Falle wurde es die vornehmste Aufgabe der Philosophie, die empirischen Erkenntnisarten mit einem äuBeren wissenschaftlichen Schein zu versehen - obwohl es in der Praxis an einem Instrument zu einer wissenschaftlichen Kontrolle der Argumentation dieser Disziplinen fehlte. Dies war, nach Schelling, eine Aufgabe, die fiir die Wissenschaft der Wissenschaften unwiirdig war und ein augenfälhges Zeichen fur die prekäre Situation, in der sich die Metaphysik auch noch nach Kant befand: AaO. S. 226 f.: „Aber ein anderes ist, das Verj;angene selbst zum Gegenstand der Wissenschaft zu machcn, ein anderes, die Kenntnifi davon an die Stelle des Wissens selbst zu setzen. Durch das historische Wissen in diescni Sinn wird der 7.ugang zu deni Urbild verschlossen; es tragt sich dann nicht mehr, ob irgend etwas mit dem An-sich des Wissens, sondern ob es mit irgend etwas Abgeleitetem, welches von )enem em blof? unvollkommenes Abbild ist, ubereinstimme". AaO. S. 227: „dafi iiber den Mitteln und Anstalten zumWissen das Wissen selbst so gut wie verloren gegangen ist . .

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