RB 44

31 Nach Schellings Auffassung mufite der absolute Charakter des Teiles seinen Grund in dessen naturlicher Abgrenzung haben. Absolut ist folglich ein Ding nur kraft seiner Fähigkeit, aus dem Organismus alles auszuschliefien, was fremd fiir dessen Zwecksetzung ist: „was in sich selbst begrenzt, von sich [aus] abgeschlossen und vollendet ist".**' Das so Begrenzte - das Besondere - bildet auf seiner niederen Stufe die Einheit, die Gegensätze auflöst und den Stoff zu einem Organ ordnet. Auf diese Weise wird die Relation zwischen Allgemeinem und Besonderem unendlich wiederholt und eine durchgehende systematische Einheit geschaffen — eine kontinuierliche Produktion des Ausdrucks fiir die absolute Einheit. Aus dem Gegensatz wird damit die schöpferische Kraft des Systems erzeugt; jede wahre Produktivität setzt, gemäft Schelling, nämlich eine dialektische Relation zwischen zwei verschiedenen Polen voraus: „Alles Produciren ruht auf einer Begegnung oder Wechseldurchdringung des Allgemeinen und Besonderen. Den Gegensatz jeder Besonderheit gegen die Absolutheit scharf zu fassen, und zugleich in demselben untheilbaren Akt jene in dieser und diese in jener zu begreifen, ist das Geheimnifi der Produktion. Hierdurch bilden sich jene höheren Einheitspunkte wodurch das Getrennte zur Idee zusammenflielJt, jene höheren Formeln, in die sich das Goncrete auflöst, die Gesetze, ,aus dem himmlischen Aether geboren, die nicht die sterbliche Natur des Menschen gezeugt hat‘.“**' In der organischen Systematik wird die einheitschaffende Kraft erzeugt, die die einzelnen Teile aus der Spannung zwischen dem Entgegengesetzten zusammenbindet. Aber das Ganze stellt den Ausgangspunkt dieser produktiven Kraft dar, „das treibende und lebende Ganze“,^^ das die Richtung und Abgrenzung der Entwicklung der Kraft im System bestimmt;^"* die Darstellung „im Geist des Ganzen“^^ bedeutete mithin, dal? die menschliche Vernunft etwas „wirklich machen“ kann. Damit hatte Schelling den kantianischen Vernunftsstandpunkt iiberschritten: die kantianische Vernunft war auf der Verstandsstufe des Begrenzenden und Trennenden - des Gegensatzes - verblieben;^^ die Vereinigungsphilosophen versuchten stattdessen, die dialektische Einheit der Gegensätze auszunutzen, umeinen Grund fiir die materielle Systematik zu schaffen. Die organische Produktion driickte sich natiirlich am typischsten imWachZitat nach Kaulbach, aaO. S. 354 f. Dieser Passus lautet im ganzen wie foigt: „Nicht Formlosigkeit ist das wahre Unendliche, sondern, was in sich selbst begrenzt, von sich [aus] abgeschlossen und vollendet ist“. Vgl. aaO. S. 349 f. Schelling, aaO. S. 242. Man beachte, dafi Schelling mit den Begriffen „Begegnung“ und ..Wechseldurchdringung" den Charakter der Erkenntnisproduktion als freien Austausch zwischen zwei unabhängigen und charakteristischen Einheiten betonte. AaO. S. 217. Vgl. aaO. S. 231: „Nur das schlechthin Allgemeine ist die Quelle der Ideen, und Ideen sind das Lebendige der Wissenschaft". AaO. S. 232. Siehe Kaulbach, aaO. S. 350, vgl. S. 356.

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