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17 deswegen aus der wissenschaftlichen Argumentation ausgemerzt werden. Da die Ordnung der Dinge kein Vorbild fiir notwendige Erkenntnis sein konnte, war es auch fur die freie, kantianische Vernunft unmöglich, eine materielle Systematik zu schaffen. Nur die formelle Bestimmung des empirischen Stoffes gehörte zur Aufgabe der spekulativen Vemunft. Diese unfreiwillige Begrenzung der Reichweite der wissenschaftlichen Argumentation bekam imVorwort zur Kritik der reinen Vernunft folgende bemerkenswerte Formulierung: „Sofern in diesen nun Vernunft sein soil, so mu£ darin etwas a priori erkannt werden, und ihre Erkenntniss kann auf zweierlei Art auf ihren Gegenstand bezogen werden, entweder diesen und seinen Begriff (der anderweitig gegeben werden mufi) blofi zu bestimmen, oder ihn auch wirklich zu machen. Die erste ist theoretische, die anderepraktische Erkenntniss der Vernunft." Die Vernunft konnte ihr Objekt nicht in philosophischer Notwendigkeit bilden — „wirklich machen" —, sondern sie muBte sich damit zufriedengeben, dem Stoff allein eine formelle, allgemein-wissenschaftliche Bestimmung zu geben. Durch die kopernikanische Wende in der Philosophie war es sowohl möglich wie notwendig geworden, die theoretische Erkenntnis der Vernunft von alien fiir die Wissenschaft fremden Zwecken und Interessen zu reinigen. Es war deswegen von groBem Gewicht, dafi der theoretisch mögliche Erkenntnisbereich sorgfältig von anderen, praktischen Erkenntnisarten abgegrenzt wurde.^^ Dies gait natiirlich vor allem der Metaphysik, aber auch diejenigen, die sich mit der Aufgabe der Logik befafiten, wurden davor gewarnt, bewufit oder unbewul5t die Grenzen ihrer Disziplin zu anderen Wissenschaftszweigen aufzulösen.'*° Gerade in den rein apriorischen Vernunftserkenntnissen war es auch aus einem anderen Gesichtspunkt wichtig, schnell eine wissenschaftliche Formzu erreichen. Diese Disziplinen stellten der Wissenschaft reinen Teil dar, der durch seine Abgrenzung und Struktur völlig von der relativen, blofi empirischen Erkenntnis getrennt werden mufite. Kant gab deshalb der Metaphysik die Definition „einer ganz isolierten speculativen Vernunfterkenntniss, die sich gänzlich iiber Erfahrungsbelehrung erhebt"; dieses gesagt von einer Disziplin, der es erst durch die kopernikanische Wende in der Philosophie gelang, wissenschafthche Formzu erreichen. Die Metaphysik stellte in Kants Wissenschaftsauffassung das MethodentrakAaO. S. 16 f. Was die Fragc der Koppelung zwischen dcr Produktivitat der Vernunft, also deren Fähigkeit zur Produktion, und der freien Natur („das Ding an sich“) anbelangt, siehe Kaulbach, Philosophic der Beschreibung, S. 318. Kant, aaO. S. 17: „Von beiden muss der reine Theil, so viel oder so wenig er auch enthalten mag, namlich derjenige, darin Vernunft gänzlich a priori ihr Object bestimmt, vctrher allein vorgetragen werden, und dasjenige, was aus anderen Quellen kommt, damit nicht vermengt werden . . .“. AaO. S. 15 f.: „Denn, wenn einige Neuere sie dadurch zu erweitern dachten, so riihrt dieses von ihrer Unkunde der eigenthiimlichen Natur dieser Wissenschaft her. Es ist nicht Vermehrung, sondern Verunstaltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen in einander laufen lä(?t . . .“.

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