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10 Diese Bestimmung der Natur der Erkenntnis, wie sie durch das Gesetz vom Widerspruch erzwungen wurde, rief jedoch neue Widerspriiche hervor. In dem Mafie, in dem von diesem besonderen Gepräge angenommen wird, es sei von apriorischem Charakter und biide daher den Grund fiir die philosophische Notwendigkeit der Erkenntnis, wiirde es direkt der wesensmetaphysischen Grundannahme zuwiderlaufen, daB der ontologische Grund der Erkenntnis im Wesen der Dinge liege. Der schulphilosophische Standpunkt der Erkenntnistheorie setzt nämlich keine Vermittlungsmöglichkeit zwischen zwei verschiedenen Grunden voraus, und damit wiirde die Annahme, die Bestimmung der Erkenntnis mache auch deren Grund aus, zwangsläufig dazu fiihren, dafi die wesensmetaphysisch begriindeten Sätze zu einer Summe, nur vermeintlich apriorisch begriindeter Begriffe reduziert wiirden. Hinter diesem ganzen Gedankengang verbirgt sich in Wirklichkeit die kopernikanische Wende der kantischen Vernunftskritik. Stattdessen mufite der Ausdruck der Vernunft, die Erkenntnis, durch ihre aposteriorische Unvollkommenheit charakterisiert werden; in diesemerkenntnistheoretischen Zusammenhang konnte die Vernunft nur als die unzureichende Fähigkeit kenntnis aufgefal^t werden. Der mehr oder minder zufällige Charakter der Erkenntnis hatte somit seinen Grund in der Eigenart der Vernunft; deren unaufhörlichemStreben, die ideelle Einheit der Dinge zu reproduzieren. Die empirische Scheinwelt hatte also ihren wirklichen Ursprung im Handeln der Vernunft.’^ Die bemerkenswerte Unfähigkeit der Vernunft, eine Relation zwischen ihremAusdruck, das Denken, und dessen philosophisch notwendigemGrund zu etablieren, spiegelt sich imGebrauch von Struktur- und Abgrenzungsbegriffen in der Schulphilosophie wider.’"* Von der Art und Weise der Vernunft metaphysische Erkenntnis zu erwerben, glaubte man, sie habe nur einen instrumenteilen Charakter im Verhältnis zur inneren Ordnung der Dinge; denn entweder war man der Auffassung, eine einheitsschaffende Kraft oder Formin der AaO. § 1028: „Weil Gott alles gewusst, was aus demWesen der Dinge erfolgen kann, und um deswegen sie hervor gebracht; so sind die notwendigen Folgerungen aus dem Wesen der Dinge Gottes Absichten. Und demnach irren diejenigen gar sehr, welche leugnen, dafi es Absichten in der Natur gibt, weil dasjenige, was man Absichten nennt, aus dem Wesen der Dinge notwendig erfolgt. Nämlich auch unsere Absichten sind nicht änders als notwendige Folgerungen aus dem Wesen derer Dinge, die wir als Mittel erwählen sie zu erreichen: nur die Unvollkommenheit unseres Verstandes macht, dass wnr an das letztere eher gedenken als das erste, und von dem letzteren auf das erste kommen um der Verknuptung willen, die beides mit einander hat. W'äre unser \'erstand so vollkommen, dass er Mittel und Absichten zugleich sich vorstellen könnte; so wiirden wir wie Gott auf einmal sehen, dass diese aus jenen erfolgen. Und dieses wiirde uns desw'egen nicht hindern, dass wir das letztere zur Absicht, und das erstere zumMittel erwählen". Siehe Schroder, Jan, ^'issenschaftstheorie und Lchre der „praktischen Jurisprudenz" auf dcutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert, S. 86—89, zur Anwendung des Begriffes „Svstem“ bei Christian Wolff. Vgl. Ritschl, aaO. Sp. 59 ff. Erfassung ihres eigenen Grundes und des Grundcs der Er- zur

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