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256 Der Streit, der sich um diese Frage entwickelte, war ein Zweikampf zwischen zwei weit voneinander entfernten Bildungsidealen. Während eines grofien Teiles des 19. Jahrhunderts tobte die Debatte fiir und gegen die Errichtung einer zentralen Lehranstalt in Stockholm, und der Ausgang dieses Streits war lange ungewiB. Von demStreit iiber die Examinierungsbefugnisse des Karolinska Instituts abgesehen, mufi gesagt werden, dafi die Debatte iiber die beabsichtigte Uberfiihrung der Universität Uppsala in die Hauptstadt eine wirkliche Kraftprobe des wissenschaftlichen Argumentationsgrundes ausmacht hat. Die Frage kam zuerst imZusammenhang mit dem Vorschlag auf, die akademische Jurisdiktion abzuschaffen. In der Polemik, die sich dabei zwischen dem Vertreter der akademischen Welt, Erik Gustaf Geijer, und demliberalen ReichstagsabgeordnetenJohan Gabriel Richert entspann, wurde der Ton angeschlagen, der die Debatte beinahe ein halbesJahrhundert lang prägen sollte. Richert wiederholte mit kleinen Variationen die Kritik, die gegen die Universität bereits während der sogennanten Freiheitszeit gerichtet worden war: die Universität wurde von einem ausgeprägten Zunftgeist und allgemeiner Engstirnigkeit charaktensiert, sie hatte ebenso keinen Kontakt mit dem Realiteten des Lebens. Richert verwies in seiner Kritik auf „das akademische Zunftwesen“ auf unter anderem Boethius Schrift in dem Fach - ein faszinierendes Paradoxon, da Boethius ausdriicklich den Nutzen als Grund fiir die Gestaltung der Universitätseinrichtung verwarf. Es wurden, nach Richerts Meinung, Mafinahmen gefordert, die die Isolation der Universität brachen, das Bewufitsein der Wissenschaftler iiber das Bediirfnis der Gesellschaft steigerten und den Mitbiirgern Aufklärung zusicherten. Die Abschaffung der juristischen Jurisdiktion sollte dabei ein Schritt in der wahren Richtung sein. Geijer nahm einen diametral gegensätzlichen Standpunkt ein: wenn man beschloB, der Universität das Recht, eine allerdings begrenzte aber dennoch Gerichtsmacht iiber seine gegenwärtigen und potentiellen Vertreter zu nehmen, so schränkte man damit die Freiheit der Wissenschaft ein. Eine autonome Universität stellte ein Asyl der Wissenschaft dar, in demalleine der wissenschaftliche Argumentationsgrund vorherrschend war. ImJahre 1823 schlug ein anderer liberaler Reichstagsabgeordneter, Lars Johan Hierta, in Richerts Geist vor, daB, um den akademischen Zunftgeist zu brechen, die praktischen Fakultäten aus der Universität ausgebrochen und nach Stockholm verlegt werden sollten.'"*^ Man fand, diese Kritik wäre hinreichend ernst, umdie Einrichtung eines Komitées zu veranlassen mit der Aufgabe, den Zustand des Unterrichtssystems zu untersuchen und Richtlinien fiir dessen zukiinftige Gestaltung zu bestimmen. Der Schlufisatz des Erziehungskomitées nach vollendetemAuftrag mufite jedoch im Grofien als ein Riickschlag fiir die Bestrebungen Hiertas und der Liberalen bezeichnet werden. Das Komitée wies Hiertas Vorschlag ab und stellte fest, dafi die Universität, wo alle Zweige der Siehe Bihang till samtliga Riks-Stdndens Protokoll (Anhang zum Protokoll sämtlichcr Reichsstände), 4. Sammlung, Bd. 6, S. 543.

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