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6 Der Metaphysik war es jedoch bis dahin nicht gelungen, diesen wissenschaftlichen Idealzustand zu erreichen^ und die Tätigkeit, die sich innerhalb des Faches entfaltete, läfit sich weder durch eine kontinuierliche Entwicklung des Wissensbereiches noch durch Ubereinstimmung zwischen den Wissenschaftlern charakterisieren. Die Metaphysik hatte mithin nicht vermocht, den sicheren Gang einer Wissenschaft einzuschlagen; stattdessen drohte die Disziplin, geplagt von ständigen Anomalien und zerrissen von unlösbaren Streitigkeiten, in ein wahres Schlachtfeld auszuarten: „Denn in ihr geräth die Vernunft continuirlich in Stecken, selbst, wenn sie diejenigen Gesetze, welche die gemeinste Ehrfahrung bestätigt, (...) a priori einsehen will. In ihr muss man unzähligemal den Weg zuriick thun, weil man findet, dafi er dahin nicht fiihrt, wo man hin will; und was die Einhelligkeit ihrer Anhänger in Behauptungen betrifft, so ist sie noch so weit davon entfernt, dass sie vielmehr ein Kampfplatz ist, der ganz eigentlich dazu bestimmt zu sein scheint, seine Kräfte imSpielgefechte zu iiben, auf demnoch niemals irgend ein Fechter sich auch den kleinsten Platz hat erkämpfen und auf seinen Sieg einen dauerhaften Besitz grunden können. Es ist also kein Zweifel, dafi ihr Verfahren bisher ein biosses Herumtappen, und, was das Schlimmste ist, unter blossen Begriffen, gewesen sei.“ '* Die einzige akademische Disziplin, der es seit der Entstehung der Wissenschaft gelungen war, Streit und innere Uneinigkeit zu vermeiden, war die Logik.^ Den Grund zu dieser idealen Entwicklung glaubte Kant in der strengen Abgrenzung des eigenen Wissensbereiches dieses Faches gefunden zu haben. Schon seit Aristoteles war die Logik eine wissenschaftlich bestimmte Kenntnisart, auf die rein reflexive Kenntnis der Vernunft von ihrer eigenen Formund damit den analytischen Voraussetzungen des Denkens begrenzt.^ Es war somit der propädeutische Gharakter der Logik - ein Vorhof der Wissenschaften“ ^ - der ihren Erfolg als wissenschaftliche Disziplin garantierte. Durch die Abgrenzung, in der die wissenschaftliche Bestimmung der Logik resultierte, war eine absolute Grenze zwischen der reinen Vernunftserkenntnis des eigenen Bereichs und den Domänen der synthetischer Objektserkenntnis gezogen worden. Die wissenschaftliche Methode der Logik fuhrte zu einer vollständigen Eliminierung aller apriorischen Objekterkenntnis aus der Disziplin, und dies Kritik der reinen Vernunft „als Traktat der Methode" und ..wissenschaftliche Selbstfundierung der Methaphysik", siehe Kaulbach, Friedrich, Philosophic als Wissenschaft, S. 13 ff. ’ Kant, aaO. S. 20: „Dcr Metaphysik ist das Schicksal bisher noch so giinstig nicht gewesen. dass sie den sicheren Gang einer VCissenschaft einzuschlagen vermocht hätte . . ■' AaO. ibidem. ^ AaO. S. 15: ..Dass die Logik diesen sicheren Gang schon von den ältesten Zeiten her gegangen sei. lässt sich daraus ersehen. dals sie seit dem Aristoteles keinen Schritt riickwärts hat thun diirfen. . .“. ^ AaO. S. 16: ... . . die Grenze der Logik aber ist dadurch ganz genau bestimmt, dass sie eine Wissenschaft ist, welche nichts als die formalen Regeln alles Denkens (. . .) ausfiihrlich darlegt und strenge beweist". ^ AaO. ibidem: „nur den Vorhof der Wissenschaften ausmacht . . .“.

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