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187 Die wissenschaftliche Vernunft konnte in der immer mehr stagnierenden Tätigkeit der akademischen Disziplinen die Berechtigung in dieser Aufforderung einsehen. Klar war auch, daft die Bildung der Vernunft aus sich selbst kommen mufite, um in der Lage zu sein, diese Forderung nach einemwahrhaft wissenschaftlichen Studium, das in einer absolut freien Vernunftsposition begriindet wird, zu erfiillen. Jede Abweichung von dem wahren Bildungsbegriff konnte folglich nur als Ausdruck fiir eine falsche Vernunftsbestimmung genannt werden. Mit diesem Ausgangspunkt stellte das Studium der Vernunftsgeschichte eine Art fiir das Erkenntnissubjekt dar, die blofte Stoffsammlung zu deren wissenschaftstheoretischem Grund in Bezug zu bringen: die unemanzipierte Vernunft. Durch das Studium ihrer verschiedenen geschichtlichen Offenbarungsformen wurde es der Vernunft immer mehr klar, dafi die Geschichte eine sprunghafte Entwicklung zu immer gröl^erer Ubereinstimmung zwischen ihrem reellen — zeit- und raumbestimmten — Ausdruck und ihremideellen apriorischen Grund darstellte. Diese Entwicklung konnte in drei Epochen eingeteilt werden, die jede fur sich von verschiedenen Vernunftspositionen charakterisiert wurden: die dogmatische Vernunft des Naturinstinkts; der bewufite, aber blob kritische Vernunfts^tandpunkt, sowie die absolute Vernunft. Jede Vernunftsposition entsprach ferner einem gewissen Bildungsideal. Die Annahme des schulmäbigen Erkenntnisprinzips als die hauptsächliche Einrichtung der wissenschaftlichen Bildung, spiegelte eine ihrer ideellen Kraft unbewubte Vernunft wider, die den Eindruck passiv entgegennahm, ohne in der Lage zu sein, diesen zu bearbeiten. Um diesen dogmatischen Schlummer zu brechen, mubte die Vernunft durch eine Philosophiekritik, die in den vereinigungsphilosophischen Ståndpunkt kulminierte, von alien fiir die Wissenschaft fremden Zwecken emanzipiert werden. Die richtige Auffassung von der Aufgabe der wahren Bildung, die charaktercn, motiviert das Urtcil, dais Schelling unter anderen idealistischen Philosopher! der geistige Vorganger zum philosophischen Materiahsmus war. Siehe Lange/Biederman Die Philosophic des jungen Schellmg, sein ,aufrtchtiger Jugendgedanke\ besonders S. 27, vgl. Methode des akademischen Studiums, S. 257. Die schellingschen .,Irrlehren“ und ,,Herrenherrschaft“ iiber die schwedischen Universitaten weckte Irritation, besonders unter der Priesterschaft (siehe Munck af Rosensköld, David, Tal vid Prestmote i Lund {i hvilket afscende den schellingska philosophien ej är öfverenstämmande med Christendomen) uppläst den 21 sept. 1814 (Rede bei der Priesterversammlung in Lund (in welchcr Hinsicht die schellingsche Philosophie nicht mit dem Christentum iibereinstimmt) gehalten am 21. Sept. 1814)), vgl. Hammarsköld, aaO. S. 534 ff. In den schwedischen Zeitschrilten tobte während der ersten jahrzehnte des 19. Jahrhunderts eine Hetzdebatte zwischen Schellingianern und deren Gegnern, siehe bes. den Streit zwischen Atterboms Phosphoros (z.B 2. Helt., S. 170-176) und Journal för Literatur och Theater (Zeitung fur Literatur und Theater, z.B. Jhrg. 1812 (Nr. 214 1.), Ofver den schellingska Philosophiens vetenskapliga värde i allmänhet och dess förhållande till Religion och moralitet i svnnerhet (Uber den Wert der schellingschen Philosophie im allgemeinen und deren Verhältnis zu Religion und Moralität im besonderen), und Allrnännajournalen (Die Allgemeine Zeitung), Jhrg. 1813 (Nr. 115 f.), N.ågra drag af den nu varande Tyska Philosophiens mindre fördelaktiga sida (F.inige Ziige der weniger vorteilhaften Seite der jetzigen deutschen Philsophie).

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