186 Hwassers Bestreben, eine Definition des wissenschaftlichen Studiums zu fördern, in der es das vornehmste Ziel der Tätigkeit war, unaufhörlich die individuelle Eigenart der Vernunft und die schaffende Kraft des Charakters zu suchen, stand in direktem Konflikt mit einemempirisch-schulmäl^igen Bildungsideal. Die Anwendung des Prinzips der Kenntnis, in dem die Betonung einseitig auf einer zufälligen und willkiirlichen Stoffsammlung lag, verursachte wissenschaftliche Stagnation und drohte das einheitschaffende Vermögen der menschlichen Vernunft im Stoffiibergewicht zu ersticken. Die reine Reproduktivität machte nach Hwassers Auffassung lediglich den negativen Faktor des Wissens aus, der, wenn er nicht geniigend beherrscht wurde, alles produktive, wissenschaftliche Genie tötete. Und, da die Wissenschaft zuerst durch Bildung eine handelnde Form annahm, war es von gröfitemGewicht, den Begriff „Studium“ richtig aufzufassen: „Studium besteht nicht eigentlich aus dem Erwerben von Erkenntnis, denn dieses macht bei demselben einen blofi negativen Moment aus, sondern die Suche nach deminneren Grund des Wissens und dem durch das Auffassen von diesem Grund aufkommenden Gewifiheit der Uberzeugung. Die Ubereinstimmung zwischen Hwassers Ausdrucksweise imoben angefuhrten Zitat und dem Wortlaut in Schellings Definition von der wahren Bildung, die mit der Aufforderung: „Lerne nur, um selbst zu schaffen” abschlofi, stellt imiibrigen schwerlich eine Zufälligkeit dar. Hwassers Abhängigkeit von Schellings naturphilosophischemWerk ist wohldokumentiert.'^ “ 16 AaO. S. 230: ,,Studium består icke egentligen uti inhemtandet af kunskap, tv detta utgör hos detsamma ett blott negativt moment, utan uti sökandet efter kunskapens inre grund och efter den genom uppfattandet af denna uppkommande öfvertygelsens visshet". Vgl. mit Schellings Auffassung in Methode des akademischen Studiums, S. 241: ,,Lernen ist nur negative Bedingung, wahre Intussusception [ist] nicht ohne innere V'erwandlung in sich selbst möglich. Alle Regeln, die man dem Studieren vorschreiben könnte, fassen sich in der einen zusammen: Lerne nur, umselbst zu schaffen". Liedman, aaO., besonders S. 88. Hwassers Einstellung zur Schellingschen Philosophie vermifite jedoch keine kritischen Einschläge: Hwassers Erklärung der Schellingianismen war, nach Liedman, durchgehend negativ, Diese Kritik w-urde zwar in höhem Mal?e von Hwassers starkem Originalitätsbestreben akzentuiert, aber hatte auch ihren Grund in Nuanceunterschieden zwischen Hwassers und Schellings philosophischem Standpunkt. Der Gegensatz zwischen Hwassers ausgesprochenem Theismus und dem pantheistischen Zug, der nach seiner Auffassung den Schellingianismus prägte, wurden ein Hauptthema der Kritik. Hwasser meinte, dal? diese Einrichtung ein Ausdruck fiir Hvlozoismus oder die philosophische Richtung ,,demhöheren Materialismus" war - Liedman zitiert aus den V'orlesungen des Jahres 1828 Hwassers Ausfiihrung: ,,Schelling definierte das Leben mit ,Identität von Produkt und Produktivität* - und den Lebensprozels mit ,Selbstproduktion oder Selbsterzeugung' und diese Bestimmungen sind entweder sinnlose Phrasen oder auch reine Hylozoismen" (vgl. mit dem Doppelsinn des Begritfes ,,Bildung" bei Schelling!). Liedman fuhr fort, dals ,,die Bemerkung, dals die romantische Naturphilosophie eigentlich eine materialistische Lehre ist, ist normal unter den Gegnern mit offener christlicher Einstellung", vgl. ders.. Das organischc Leben in der deutschen Debatte, 1795—1845, S. 84, bzw'. S. 117 ff. Es ist offenbar, dal? diese Kritik sachlichen Grund hat; Schellings Art, ,,das Sevn" mit ,,das Seyende" zu identifizieren und aulserdem das Letztgenannte, die reelle Kategone im Zentrumseiner Betrachtungen zu plazie-
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