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183 grundeten „Herumtappen“, das jede wahre Entwicklung aufhob. Diesem Gegensatz gab Savigny Ausdruck in demfolgenden Passus: Die Sache, „die sich aber auf eine zufällige, willkuhrliche, bewuliltlose Weise bilden wird, während sie jetzt im Zusammenhang mit friiheren Jahrhunderten, eine herrliche Lebenswurzel finder. « 5 Eine wahre wissenschaftliche Bildung, vomErkenntnissubjekt gesteuert, setzte folglich eine Definition des theoretischen Grundes fiir den Widen der Vernunft voraus. Durch die kopernikanische Wende in der Philosophie war das erkenntnistheoretische Interesse auf die Voraussetzungen fiir die freie Handlung der Vernunft fokussiert worden: es war, meinte Kant, notwendig, eine theoretische Basis fiir die Tätigkeit des Subjekts in der Erkenntnis zu postulieren, und diesen Grund fiir ihre Emanzipation fand die Vernunft in ihremeigenen BewuBtsein. Dieser philosophische Ausgangspunkt fiihrte jedoch dazu, dafi jegliche Kenntnis der Objektbestimmungen von dem Gebiet der wissenschaftlichen Argumentation ausgeschlossen wurde. Das Handeln der kantianischen Vernunft beschränkte sich damit darauf, dem Stoff eine rein formelle wissenschaftliche Bestimmung zu verleihen; eine Vernunft, die ihr Objekt in der Erkenntnishandlung frei produzierte, setzte einen anderen Bestimmungstyp voraus. Eine wirklich freie Vernunft mufite in dem geschichtlichen Stoff in der Lage sein, einen aposteriorischen Ausdruck fiir ihren eigenen a priorischen Zweck zu konstruieren. Dadurch wurden Möglichkeiten fiir das Erkenntnissubjekt eröffnet, eine Relation zu der objektiven Einheit, die in der materiellen Vielfalt verborgen war, zu errichten. Die Dialektik zwischen dem produktiven und reproduktiven Vermögen der Vernunft, die der Vernunft die freie Bearbeitung des Stoffes ermöglichte, gab dem Erkenntnisprozefi einen anderen Charakter. Die Kenntnis wurde als ein förmlicher ,,Umgang“ zwischen zwei freien Griinden aufgefafit, in denen die bewufite und damit wirksame Seite des Wissens — die Vernunft — stufenweise sowohl ihr Objekt als auch ihre eigene bildende Besonderheit kennenlernte. In Ubereinstimmung mit diesem idealistisch geprägten Bildungsideal stellte z.B. Wilhelmvon Humboldt fest, „dafi bei der inneren Organisation der höchsten wissenschaftlichen Anstalten alles darauf beruht, das Prinzip zu erhalten, die Wissenschaft als etwas noch nie ganz Gefundenes und nie ganz zu Findendes zu betrachten und unablässig sie als solche zu suchen“.^ Die wissenschaftliche Tätigkeit wurde folglich nicht länger dadurch charakterisiert, dafi die Vernunft ^ AaO. S. 109. * Humboldt, Wilhelmvon, Uber die mnere und duflere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten zu Berlin, S. 445., vgl. S. 444. Savigny und Schelling teilten offenbar diese Bildungssicht, siehe Juristische Methodenlchre, S. 72: „es miifite [das System] dies aber nicht als besondern als etwas zu Erfindendes dargestellt werden", samt Methode des akademischen wicscn, Studiums, S. 234.

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