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146 Der geschichtliche Charakter, und damit auch die geschichtliche Methode, wurde von den nachkantianischen Idealisten in eine dialektische Einheit mit dem Philosophischen verbunden; der menschlichen Geist — die Vernunft - gab durch freie Handlung Ausdruck ihrer Persönlichkeit in der Objektwelt. Dieser Ausdruck der Vernunft - die Geschichte— hatte dadurch eine ontologische Basis in der Einheit erhalten, oder mit anderen Worten, wurde eine Relation zwischen der Vernunft und deren Ausdruck etabliert. Damit machten die geschichtlich geprägten Disziplinen nicht länger nur die Erkenntnis des zufälligen Stoffes, die bloBe Geschichte, aus, sondern steliten eine objektiv gegebene Geschichtseinheit dar. Durch den Charakter der identitätsphilosophischen Notwendigkeit wurde ein Teil der geschichtlichen Stoffmasse dazu qualifiziert, einen Ausdruck fiir die höchste Einheit in der Vielfalt auszumachen. Der iibrige Stoff, beraubt die äufieren Zweckeinheiten, die die Exklusivität des wissenschaftlichen Interesses kränkten, war damit zur reinen Vielfalt reduziert werden. Der historische Stoff, von dem man also behauptete, daB ihm innere Einheit - Geist - fehlt, wurde als abgestorben aufgefalk und gehörte damit bloB zu den antiquarischen und nur historischen Wissensformen. Nur iiber die Erkenntnis um den Stoff, der durch die wissenschaftlich-systematische Bearbeitung dazu qualifiziert wurde ein philosophisch notwendiges Ideal auszudriicken, konnte gesagt werden, sie wurde von der Vernunft beherrscht. Die Vernunft hatte, teils durch die Schaffung eines Ausdruckes fiir ihre eigene VernunftsgemäBheit, teils durch die Reproduktion der inneren Einheit der Sache ein Mittel gefunden - die wissenschaftliche Methode - welches in der Lage ist, die blofie Erfahrung des Stoffes, der in sich jede Bestimmung vermissen läBt, von der wahren Erfahrung zu trennen. Die menschliche Vernunft hatte gelernt, „wahre Erfahrungen zu machen“, und damit eine unversiegbare Wissensquelle geöffnet, die die Vernunft ständig mit neuemWissen umdie eigene innere Einheit der Sache versieht.^° Das wissenschaftlich geprägte historische Material setzte voraus, als gleichzeitig nach einem materiellen wie formellen Ideal organisiert, daB die Erfahrung sowohl nach den allgemeinen Vernunftsgriinden als auch nach der Natur der Sache abgegrenzt wird. Die wahre Erfahrung mufite folglich nach ihrer eigenen Natur abgegrenzt werden, umselbst gelockt zu werden ihre innere Basis zu entschleiern. Dieses Paradoxon beinhaltete, daB die Abgrenzung nach der Natur der Sache eine Grundvoraussetzung fiir jede freie Tätigkeit und freien Ausdruck blieb. Die Persönlichkeit der Sache und deren Aussehen stimmen miteinander iiberein, zuerst durch ihre absolut bestimmte Abgrenzung gegeniiber anderen Naturen, und diese Ubereinstimmung mit sich selbst war das höchste und endgiiltige Ziel fiir alle organische Entwicklung. Die wissenschaftliche Tätigkeit, und darin inbegriffen das historische Element, mufite somit auch sachlich - objektiv - bestimmt und abgegrenzt werden; dieser SelekSavigny, Vom Beruf, S. 78: ,,Die Fähigkeit nämlich wahre Erfahrungen zu machen . .

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