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125 oberflächliche Streben in der Philosophic brachte es mit sich, dafi die Wissenschaftler buchstäblich gezwungen waren, sich des sogenannten dogmatischen Irrtums schuldig zu machen und den historisch gegebenen - den positiven - Stoff mit dem philosophisch Notwendigen, dem Wissen an sich, zu verwechseln. Dal? die kopernikamsche Wende der Vernunft eine solche Bestimmung gegeben hatte, dal? die Forderung an eine Vermittlung zwischen Vernunft und Ding an sich in der spezialwissenschaftlichen Argumentation niemals gestelit werdcn kann, das mul? als eine Selbstverständlichkeit erscheinen. Gleichwohl hatten sich auch kantianische Juristen des dogmatischen Irrtums schuldig gemacht. Der reflexionsphilosophische Standpunkt hatte allerdings bedeutet, dal? die Bestimmung der Vernunft, und nur alleine diese Bestimmung, zum Ausgangspunkt des Erkenntnisprozesses gemacht wurde. Damit wurde die wissenschaftliche Einheit durch die Forderung des Subjektes selbst auf das Wissen und nicht nach dem Gegenstand der wissenschaftlichen Tätigkeit garantiert. Die philosophisch notwendige Methodik und Systematik, nach der allgemeinen Einheit des Wissen konstruiert, ersetzte damit die Summe der „a priori schon aufgefundenen Sätze“ als Grund fiir die wissenschaftliche Tätigkeit. Diese erkenntnistheoretische Auffassung sollte jedoch in der Folge eine sehr unbedeutende Rolle fur die rechtswissenschaftliche Wirksamkeit spielen. Die Forderung der kritischen Vernunft auf reine Wissenschaftlichkeit schlol? jede Form von objektiver Bestimmung des Stoffes aus, sie machte, wie es Savigny bezeichnete „ein Formalismus, eine Wissenschaft ohne Inhalt“ aus."*^. Die allgemeine menschliche Tendenz, das Wissen des gegebenen Stoffes iiberzubewerten und eine falsche Qualität zu geben, fiihrte dadurch paradoxerweise auch kantianische Juristen dazu zu versuchen, den Leerraumnach einem erkenntnistheoretisch möglichen Ding an sich, mit der Erfassung von römischen Rechtsbegriffen, als kämen diese direkt aus den formellen Kategorien der Vernunft, zu fullen."*^ Diese historisch iiberlieferte Erbschaft des römischen AaO. S. 38: „Viele wollen nämlich vom historischen Stoff ganz abstrahieren, da aber doch ciner notwcndig ist, welcher kommt nun dafiir ins System? - Eine blofie Mcinung, Tradition älterer Juristen, kurz, es entstebt ein Formalismus, eine Wissenschaft ohne Inhalt". Das war aber in gewisser Hinsicht das unfreiwilhge Ziel des kantianischcn Bestrebens, die eigentlicbe Wissenschaft von allem Empirismus zu reinigen, vgl. S. 34 (betreffend des Versuches Elufelands, der wissenschaftliche Teil der Jurisprudenz - das Naturrecht — zur reinen Vernunftserkenntnis zu verwandeln) und Gönrier-Rez., S. 139 f. (Gönners Kritik an die Systemauffassung der Elistorischen Schule). Vgl. hierzu Stinzing-Landsberg, Gcschichte der deittschen Reehtsieisscnschaft, 3. Abt., Elalbb. I, S. 512. Savignys Definition des dogmatischen Irrtumes, in Vom Bern), S. 70, lautet wie folgt: „auch ist der geschichthche Sinn der einzige Schutz gegen eine Art der Selbsttäuschung, . . . indent wir nämlich dasjenige, was uns eigen ist, fiir allgemein halten. So hatte man ehemals aus den Institutionen mit Weglassung einiger hervorstehender Eigenthiimlichkeiten ein Naturrecht gemacht, was man fiir unmittelbaren Ausspruch der Vernunft hielt . . .". Diese Mischung von Resultaten aus verschiedenen Qiiellen, \‘^\. Juristische Methodenlehre, S. 49, fand Savignv z.B. bei Gönner: Gönner vermischte auf eine unbewulke Weise Vernunftswissen mit anderen Erkenntnisarten - siehe Gön-

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