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121 Die „kopernikanische“ Wende innerhalb des juristischen Denkens, die garantieren sollte, dafi die Entwicklung zu einer freien Rechtswissenschaft ungestört zugelassen wurde, setzte voraus — ja forderte- eine absolut freie Vernunft. „Eine Wissenschaft nach den eigenen Gesetzen ihrer Natur . . oder ein Ideal von ihr“ Durch die „kopernikanische“ Wende wurde der Gegenstand des wissenschaftlichen Verfahrens auf eine an sich formlose und unstrukturierte Vielfalt, ohne Relation zu einer inneren, objektiven Einheit, reduziert. Diese Auffassung bot eine Lösung dei Stoffproblematik, die zu dieser Zeit in einer Reihe von Disziplinen akut geworden war, an; eine, von ihrer spezifischen Voraussetzung aus, ordnende, verbindende und bildende Kraft - das produktive Vermögen der Vernunft — wurde den willkurlichen Zwecken, die den Stoff beherrschten, entgegengesetzt. Mit Ausgangspunkt imkantianischen Stoffbegriff mufite das rein produktive Vermögen der Vernunft, Kenntnis von dem empirischen Aggregat zu gewinnen, als Grund fiir eine Wissensform aufgefafit werden, die aus eigener Kraft niemals wissenschaftlichen Charakter haben kann — oder mit anderen Worten, wie es Savigny bezeichnete, „bloft geschichtlich und zufällig“.^’ Das enzyklopädische Erkenntnisideal setzte voraus, daf5 das empirische Wissenspotential die ganze Fiille des logisch mögliches Stoffes umfafite. Dies bedeutete, dafi das Vermögen der Vernunft, Kenntnis von der Vielfalt zu erlangen, keine selbständige Bestimmung haben konnte, denn jede introduzierte Vernunftsbestimmung sollte ihr Resultat in einer Abgrenzung des Stoffes haben, die die grundlegende Forderung nach empirischer Vollständigkeit verletzte. Der einzige Weg zu einer wissenschaftlichen Formin der Mannigfaltigkeit des Stoffes, die die kritische Vernunft annehmen konnte, war dadurch von der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ausgeschlossen. Die Vernunft liefi sich deshalb widerstandslos von den äufieren Zielen, die willkiirliche und untereinander zwiespältige Einheiten in einem an sich grenzenlosen Stoff bildeten, treiben. Der einzige Schutz der wissenschaftlichen Vernunft gegen diese iiberwältigende Erbschaft von historischem Stoff lag in dem Bewufitsein der Vernunft um ihr eigenes Ziel und die damit zusammenhängende einheitschaffende Kraft, die die Form und Struktur der Wissenschaft garantierte. funj», teils durch eine biographische Skizze, teils durch einen unmittelbaren Vergleich zwischen der Rechtstheorie Savignys und dem schellingschen Ansatz zu einer wissenschaftlichen Bestimmung der Rechtswissenschaft, ob es eine unmittelbare Ubereinstimmung zwischen den Arbeiten der beiden Wissenschaftler gibt, beschränkt. Man sollte aber nicht vergessen, da(5 Schelling vorwiegend als Philosoph und Savignv als Jurist bekannt sind — daraus folgt ein Unterschied in Ausgangspunkt und Akzentuierung, der leicht zu einem direkt irrefiihrenden Vergleich leiten kann. Vgl. mit den kritischen Bemerkungen Riickerts, in aaO. S. 130-133. Savigny,y«n5f/sc/»e Mcthodcnlchre, S. 47.

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