120 der emanzipierten Vernunft, die gleichzeitig die allgemeine Unabhängigkeit der Wissenschaft garantierte, und die Auffassung vom Recht als ein Objekt von besonderemGepräge und mit einer bestimmten Formund Struktur, sollte es möglich sein, den Begriff der freien Wissenschaft mit den rechtswissenschaftlichen Tätigkeiten zu vereinen. Savignys ausdriicklicher Wunsch nach Durchfiihrung der kopermkamschen Wende der Rechtswissenschaft - „ein Kant in der Rechtsgelehrsamkeit . . . zu werden“^^ - setzte folglich einen Wissenschaftsbegriff voraus, der iiber die ontologische Position der emanzipierten Vernunft hinausging: der nachkantianischen absoluten Vernunft des Idealismus.Bereits im Jahre 1803 hatte der idealistische Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling die entscheidende Bedeutung der absoluten Vernunft fiir die Möglichkeit der Rechtswissenschaft aufgezeigt, eine wahre wissenschaftliche Formzu erzielen: „es ist nicht zu berechnen, welche Quelle der Bildung in dieser Wissenschaft eröffnet werden könnte, wenn sie mit unabhängigem Geiste, frei von der Beziehung auf den Gebrauch und an sich behandelt wird. Zit. nach Riickert, aaO. S. 249, vgl. S. 258. Die Auffa.ssung Riickerts, dai? eine solche Äui?erung zur der Zeit nur gegen Kant gerichtet werden konnte, scheint insofern richtig zu sein, als Savignys expliziter Wunsch, ein Kant in der Rechtsgelehrsamkeit zu werden, eine nicht allzusehr verborgene Kritik der Begrenzungen des kantianischen Standpunkts in sich schlofi. Die Tatsache, dal? iiberhaupt, nach Savignys Meinung, eine weitere kopernikanische Wendung im rechtswissenschaftlichen Denken nötig war, bedeutet, dal? Savigny die schwache Stellung der blol? kritischen Vernunft in der spezialwissenschaftlichen Wirksamkeit entdeckt hatte. Von einem anderen Gesichtswinkel aus, mul? diesen Wunsch vielmehr als einen Anschlul? an das Ziel der Kritik der reinen Vernunft angesehen werden. Die Absicht Kants, die Metaphysik von jeden Zug des Empirismus zu schiitzen, stimmt sowohl mit dem Streben Schellings, dem grol?en System der Wissenschaft einen wissenschaftlichen Grund zu geben, als auch mit der Forderung Savignys nach Durchfiihrung einer geschichtlichen Rechtswissenschaft iiberein. \'gl. mit dem einleitenden Schelling-Zitat. Uber die Frage, welche wissenschaftsteoretischen Erwägungen den wissenschaftlichen Grund der Tätigkeit Savignys und der Historische Schule ausmachten, herrscht in der Literatur Uneinigkeit, vgl. Riickert, aaO. S. 232 ff. Einige Verfasser haben die Methodenkonzeption der Historischen Schule als unmittelbar in der kantianischen Vernunftsposition begriindet aufgefal?t, oft in Zusammenhang mit der Betonung auf das systematische Bestreben der Historischen Schule. Andere haben auf den Einflul? der idealistischen Erkenntnistheorie auf leitende Vertreter der Historischen Schule hingewiesen. Was die Frage, in welcher Hinsicht der kantianische Standpunkt mit Savignys Methoden- und Svstemauffassung iibereinstimmt, betrifft, siehe ferner S. 126, En. 48. Die Bedeutung des idealistischen Wissenschaftsbegriffes ist vor allemvon Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, insbes. S. 256 f., Walther Wilhelm, Savignys iiberpositivc Systematik, S. 125, Jan Schröder, aaO. S. 161 f. (mit einer Hinweise auf Wieacker) und Hans Kiefner, Ideal ■ivird, was Natur war, S. 519 ff., hervorgehoben werden. In diesen Zusammenhang hat offenbar die Frage von der Bewertung der juristischcn Methodenlehre als Quelle, eine gewisse Rolle gespielt, siehe dazu Riickert, aaO. S. 125 ff., vgl. Cappellini, Paolo, Systema luris, 2. Teil, S. 518. Schelling, aaO. S. 315. Was die Bedeutung Schellings fiir die rechtswissenschaftliche Tätigkeit Savignys, siehe vor allem Riickert, aaO. passim. Alexander Hollerbach hat in seinem Buch Der Rechtsgedanke bei Schelling, den Gedanken an einen Schelling-Einflul? auf die Entwicklung der savignv’schen Rechtstheorie eher abgelehnt. Hollerbach hat sich aber hauptsächlich aut die Prii- “ 38
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