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116 Konstruktion des Stoffes nach seinen eigenen Voraussetzungen, war es der Vernunft gegliickt, eine Art Karte - das wissenschaftliche System - uber die Vielfalt der Objektwelt festzulegen. Die wissenschaftliche Bearbeitung des Stoffes war demnach notwendigerweise von der referierenden Tätigkeit des bloBen Stoffsammelns qualitativ unterschiedlich. Von diesem Gesichtspunkt aus mufi Savignys Forderung an die Rechtswissenschaftler, daB diese in der Lage sein sollten den Stoff zu besitzen und zu beherrschen, betrachtet werden. Der wissenschaftlichen Bearbeitung mufite es ganz einfach gelingen, den Stoff nach der inneren Notwendigkeit des Wissens zu bestimmen und zu betreiben. In demMafie, wie die wissenschaftliche Einstellung der agierenden Vernunft nicht vorhanden war, muBte die erforderliche wissenschaftliche Einheit nach fremden und äufieren Zielen und Argumentationsgriinden konstruiert werden. Nur die emanzipierte Vernunft in der Rechtswissenschaft sollte in der Lage sein, den Stoff frei, als ein Werkzeug, anzuwenden, umneue Formen nach den apriorischen Voraussetzungen der Wissenschaft zu schaffen.^^ Das wissenschaftliche Systemist, nach Savignys Meinung, von einem anderen Charakter als die zufälligen Aggregate; die wahre, innere Systematik mufite ,,eine Einheit" in der Objektwelt „produzieren“.^^ Auch die wissenschaftliche Behandlung des spezifisch juristischen Stoffes setzte folglich voraus, daB die Metaphysik ihre wissenschaftliche Formwirklich gefunden hatte. Es war ja die Aufgabe der Metaphysik, die allgemeine Bestimmung der Wissenschaft iiberhaupt festzulegen, und die Disziplin wurde daher, nach der kopernikanischen Wendung in der Philosophie, als allgemeines Methodentraktat der Wissenschaft aufgefafit. Durch die metaphysische Definition der allgemeinen Aufgabe der Wissenschaft wurde endgiiltig die Form der Wissenschaft, deren „Umril? und Gliederbau",^* entschieden. Diese Definition vomwissenschaftlichen Ideal machte eine grundlegende Voraussetzung aus, damit die Rechtswissenschaftler ihren Stoff beherrschen können sollten. Erst als der Methode, die den Stoff selektieren und strukturieren sollte, eine sichere Grundlage in der Bestimmung der wissenschaftlichen Einheit gegeben war, war die wissenschaftliche TätigSavigny, Vom Beruf, S. 69: „Wir haben also nur die Wahl, ob wir wollen, nach Baco’s Ausdruck, sermocinari tamquam e vinculis, oder ob es eine griindliche Rechtswissenschaft uns lehren soil, diesen historischen Stoff frey als unser Werkzeug zu gebrauchen; ein drittes giebt es nicht", vgl. S. 76: „Gerade fiir diese Anwendung auf eigene, neue Production ist noch weit mehr griindliche Kenntnifi nöthig, als fiir das gewöhnliche Geschäft des Juristen; man mul? iiber den Buchstaben des historischen Materials sehr Herr geworden seyn, um dasselbe frey als Werkzeug zur Darstellung neuer Formen gebrauchen zu können, sonst ist das sermocinari tamquame vinculis unvermeidlich". Siehe auch Wilhelm, aaO. S. 70 ff., insbes. S. 80 ff. Savigny,Methodenlehre, S. 16: „soll sie wahres Verdienst haben, so mufi ihr innerer Zusammenhang eine Einheit produzieren". Kant, aaO. S. 25: „Sie ist ein Tractat von der Methode, nicht ein System der Wissenschaft selbst; aber sie verzeichnet gleichwohl den ganzen Umrifi derselben, sowohl in Ansehung ihrer Grenzen, als auch des ganzen inneren Gliederbaus derselben".

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