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102 deren Reichweite nicht nur auf die philosophische Erkenntnis begrenzt war, ist es wahrhaftig, wie Kant behauptete, unmöglich, die Bildung eines Charakters und wissenschaftliche Reflexion zu vereinen - ohne diese mulSte ,,jede Anweisung todt, geistlos, einseitig, selbst beschränkt seyn“.^^ Gegen das verfiihrerische Stoffiibergewicht in dem akademischen Studium setzte Schelling mithin die einheitschaffende Kraft der allgemeinen Bildung. Der Student sollte seine Fähigkeit den Stoff zu beherrschen durch den Unterricht in der Enzyklopädie der Wissenschaften iiben.^^ Ein derartiges Lehrfach, nicht zu verwechseln mit einer besonderen, sachlich abgrenzbaren Disziplin, stellte somit die hauptsächliche Voraussetzung fiir die wissenschaftliche Bildung der Persönlichkeit dar, deren Pflege die Universität zur Aufgabe hat: „Es ist also nothwendig, dafi auf Universitäten öffentlicher allgemeiner Unterricht iiber den Zweck, die Art, das Ganze und die besondern Gegenstände des akademischen Studiums ertheilt werde."’** Die wissenschaftliche Enzyklopädie^^ nimmt sowohl die allgemeine Bestimmung der Wissenschaft und deren besondere Ausdriicke als auch die dialektische Einheit, die diese entgegengesetzten Elemente in der Erkenntnis vereinigt, kartographisch auf. Das Ergebnis dieser Disposition der Einheit der Wissenschaft bildet, nach Schelling, die Systematik, die die Gestaltung der Fakultätseinteilung steuern mufi. Es gehört zu dem Begriff der absolut freien Wissenschaft, die eigene Bestimmung als den Stiitzpunkt aufzufassen, von demaus alle wahre Bildung ausgeht. Jede innere Einheit, jeder Organismus entspricht und wird ausgedriickt von einer äufieren Erscheinungsform, denn diese Dublierung in sowohl idealer Einheit als auch realen Organen ist notwendig, damit die Erkenntnis mit der der Wirklichkeit innewohnenden Einheit zu korrespondieren vermag: „Dieser innere Organismus des Urwissens und der Philosophie ist es nun auch, welcher in demäufieren Ganzen der Wissenschaften sich ausdriicken und durch Trennung und Verbindung derselben zu einem Körper construiren mufi. Das System der Wissenschaft muftte, umdas Kriteriumfiir den Fortschritt zu AaO. S. 213. Das Zitat lautet als Gauzes wie folgt: „Sie erkennen aus dem eben Gesagten schon, dafi eine Methodenlehre des akademischen Studiums nur aus der wirklichen und wahren Erkenntni(5 des lebendigen Zusammenhangs aller Wissenschaften hervorgehen könne, da(? ohne diese jede Anweisung todt, geistlos, einseitig, selbst beschränkt seyn miisse". AaO. S. 247: „. . . Encyclopädie der Wissenschaften". AaO. S. 212. Man beachte, dafi dieser Hinweis auf die wissenschaftliche Enzyklopädie sich in keiner Weise auf die äufiere Vollständigkeit in der Erkenntnis bezog - d.h., die Verweisung bildete kein Zugeständnis an das enzyklopädische Erkenntmsideal - sondern gait den Lebensprmzipien, Naturgesetzen, die das grofie und organisch strukturierte Systemder Wissenschaft organisieren. Insbesondere zu Schellings Betonung der Bedeutung der wissenschaftlichen Eachausbildung als Schutz gegen die enzyklopädische Stoffanhäufung siehe Spränger, aaO. S. 201 ff. Schelling, aaO. S. 282. S. König, aaO. S. 135. « 96

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