97 levanten Ausdruck. Der unkontrollierte Stoff in Handbiichern und Kompilationen appellierte statt dessen an die passive Fähigkeit des studenten zumErwerb von Erkenntnis, kurz gesagt, an sein Gedächtnis. Die Aufgabe der wissenschaftlichen Methodik war es, dies eine klarzumachen: „Lerne nur, urn selbst zu schaffen“! Die Bedeutung der idealistischen Erkenntnistheorie fiir den modernen Bildungsgedanken kann kaum iiberschätzt werden. Durch die Vereinigung des Strebens des Erkenntnissubjekts, eine objektive Einheit imStoff zu finden, mit dem Bediirfnis der absolut freien Vernunft nach Objektivierung, wurde die Barriere, die die kantianische Vernunftsposition zwischen wissenschaftlicher Reflexion und Produktion errichtet hatte, niedergerissen. Die freie Bildung von Objekten—Naturen von der Kant annahm, sie stehe in direktem Gegensatz zu der Freiheit der Vernunft, Regeln fiir das Denken vorzuschreiben,*° wurde dadurch das theoretische Modell, urn das herum die moderne Universität und deren Tätigkeit aufgebaut werden sollte.^' Den Grund fiir die schellingsche Universität stellte die wissenschaftliche Bildung dar, aufgefafit als Charakterbildung, eine Zielsetzung, direkt dazu geeignet, das vornehmlichste Merkmal und Interesse der Wissenschaft zu befördern: den kontinuierlichen Fortschritt. Die Art und Weise, in der Schelling den Begriff „Bildung” in den Vorlesungen iiber die akademische Methode anwendet, streicht die Doppeldeutigkeit in dieser Bestimmung hervor.*^ ,,Bildung" kann sich sowohl auf die dialektische Kant, Uher Pädagogik, passim. Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. I [„Bildung“], Sp. 925. Siehe Schelling, aaO. S. 268; „Der Trieb und Begierde, das Wesen der Dinge zu erforschen, ist den Menschen allgemein so tief eingepflanzt . . .“. Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. I, Sp. 926 hinsichtlich dieses Triebes zur Selbstverwirklichung. ImVorwort zu Idee und Wirklichkeit einer Universität betont der Herausgeber, Weischedel, dafi die moderne Universitätsauftassung auf einer Kopplung zwischen der Idee des Wissens - im Gegensatz zu der dogmatisch geprägten Erkenntnistheorie, in der die Erkenntnis zu einemKonglomerat von Wissen iiber einzelne Dinge reduziert wurde- und dem Bildungsgedanken beruht. Dieser Ubergang von einem„dogmatischen", schulmäfiigen Institut zu der modernen Universität biidet auch Klaus Schreiners Thema in aaO., siehe insbes. S. 32 ff. Die Ansicht, dafi dieses Geschehen seinen theoretischen Grund in der idealistischen Erkenntnistheorie hatte, ist und war offenbar verbreitet, s. z.B. René König, aaO. S. 12, Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, S. 205 ff. (der auf eine verdienstvolle und eingehende Weise die philosophische Entwicklung von dem Gegensatz zwischen Kants Freiheitslehre und Herders organischer Geschichtsauffassung zu der Spannung zwischen Neuhumanismus und Romantik darstellt, die diese neue Bildungsauffassung hervorbrachte) sowie Thomas Nipperdey, aaO. S. 474. Von Schellings Schriften - vor allemMethode des akademischen Studiums - wird allgemein angenommen, dafi sie einen bedeutenden Einflufi auf diese Entwicklung hatten, s. hierzu u.a. Eduard Spränger, der stark Schellings Bedeutung betonte und besonders den Einflufi vermerkte, den er vermutlich auf Steffens und Schleiermacher hatte. Was Schellings Beitrag zur Bildungsdebatte anbelangt s. auch Konig, aaO. S. 125 ff. (der Titel des Abschnittes lautet: „Die Grundlage zur Lösung des Problems von Wissenschaftsbildung und Staat bei Schelling"!) sowie Schnabel, aaO. S. 436 ff. Diese ständigen Bedeutungsverschiebungen, die es im iibrigen Schelling ermöglichten, den
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