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93 Wissenschaft sein sollte und den Fachwissenschaften öffnete - und an dieser uniiberwindbaren Kluft spielte sich der Streit der Fakultäten ab. Der Wortlaut des folgenden Zitats aus Schellings Methodenvorlesungen läfit, auch im Hinblick auf den Hinweis auf Lessing, erkennen, daft dieser Zustand keineswegs als zufällig aufgefafit wurde: „Dem Besonderen steht das reine allgemeine gegeniiber, welches als ein von jenem abgesondertes das abstrakte heifit. weshalb diejenigen, die bei diesem Gegensatz stehen bleiben, sich aufier dem Allgemeinen noch das Besondere unter dem Namen des Stoffs als eines allgemeinen Inbegriffs der sinnlichen Verschiedenheiten zugeben lassen. Im entgegengesetzten Fall wird die reine, abstrakte Möglichkeit begriffen, aus der man nicht zu der Wirklichkeit herauskommen kann, und dies und jenes ist, mit Lessing zu reden, der breite Graben, von dem der grofie Haufen der Philosophen von jeher stehen geblieben ist. Diese Kritik an der traditionellen Aufteilung der Erkenntnis in einen rationalen und einen historischen Teil, traf natiirlich vornehmlich den schwachen Punkt des kantianischen Vernunftsstandpunktes. Kants Streben, der Metaphysik, und damit auch der philosophischen Fakultät, einen wissenschaftlichen Grund zuzusichern, akzentuierte die Bedeutung des Unvermögens der kritischen Vernunft, die iibrigen Zweige der Erkenntnis mit einemsolchen Argumentationsgrund zu versehen. Dies ist der Kernpunkt in Schellings Kritik an der kantianischen Vernunftsbestimmung; durch die Auflösung der objektiven Erkenntniseinheit zu stofflicher Vielfalt wurde die menschliche Vernunft gezwungen, ausdriicklich der Möglichkeit zu entsagen, Erkenntnis fiber die sachliche Eigenart zu erlangen. Der Begriff „eigentumlich“ wurde direkt mit empirischer Zufälligkeit zusammengekoppelt. Der deutlichste Ausdruck fiir diesen Mangel in der kantianischen Vernunft ist die Beschreibung der Eigenart der juristischen Fakultät. Die Frage fiber „die Eigentfimlichkeit der Juristenfakultät kelt sich in Der Streit der Fakultäten zu einer extensiven Auseinandersetzung damit, inwiefern die menschliche Vernunft fiberhaupt Erkenntnis fiber die Einheit der Historie erlangen kann. Daft Kants Bestimmung von philosophisch notwendiger Erkenntnis diese Möglichkeit prinzipiell ausschlieBt, wurde bereits festgestellt; der historische Stoff kann bestenfalls dunkle Zeichen auf einer dahinterliegenden notwendigen Einheit ausmachen, doch niemals selbst direkt auf einen derartigen Zusammenhang gegrfindet sein und er kann noch weniger diesen verborgenen Grund ausdrficken. Die Ffille des historischen Stoffes dient allein als ein unfiberwindliches Hindernis ffir die Ambition der menschlichen Vernunft, den Bereich ffir sichere Erkenntnis zu erweitern. Das statische Element in der kantianischen Erkenntnistheorie verursachte die Spaltung des Bereichs der Erkenntnis in zwei qualitativ verschiedene Teile, die die Einheit der Universität bedrohten. Der Unterricht der oberen Fakultäten, “ 70 « 71 entwikAaO. S. 249 f. Kant, aaO. S. 334. Siehe dazu auch S. 391 ft.

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