89 „Der Zweck alles Brödstudium ist, dafi man die blofien Resultate kennen lernt, entweder mit gänzlicher Vernachlässigung der Griinde, oder dafi man auch diese nur um eines äufieren Zwecks willen, z.B. um bei angeordneten Priifungen nothdiirftige Rechenschaft geben zu können, historisch kennen lernt. Eine aus äufieren Griinden gestaltete höhere Ausbildung— sei es, daft diese innerhalb des Rahmens der akademischen Tätigkeit der Universität oder in der Organisation der Industrieschule betrieben wurde - kann nur den Typ von Gelehrten hervorbringen, die Kant ,,die Geschäftsmänner der oberen Fakultäten“ und Schelling Brotgelehrte nannte. Die Brotgelehrten waren gezwungen, sich ganz auf die Kapazität ihres Gedächtnisses, eine Fiille disparater Erkenntnisse ohne inneren Zusammenhang zu lagern, zu verlassen. Damit - da das Streben nach empirischer Vollständigkeit als sinnlos erklärt worden war —fehlte einer auf diese Weise gelehrten Person die Fähigkeit, selbst Einheit imStoff zu schaffen.^^ Schelling zeichnete ein lebendiges Bild dieses Dilemmas, das dem frischgebackenen Studenten begegnet: „Der Jiingling, wenn er mit dem Beginn der akademischen Laufbahn zuerst in die Welt der Wissenschaften eintritt, kann, je mehr er selbst Sinn und Trieb fiir das Ganze hat, desto weniger einen andern Eindruck davon erhalten, als den eines Chaos, in demer noch nichts unterscheidet, oder eines weiten Ozeans, auf den er sich ohne Compafi und Leitstern versetzt sieht.“^* Das Resultat dieses Zustandes war, gemäl? Schelling, „bei besser organisirten Köpfen, daB sie sich regel- und ordnungslos alien möglichen Studien hingeben, nach alien Richtungen schweifen, ohne in irgend einer bis zu demKern vorzudringen, welcher der Ansatz einer allseitigen und unendlichen Bildung ist . . bei andern, die von minder gutemStoffe gebiidet sind, daE sich gleich anfangs die Resignation iiben, alsbald sich der Gemeinheit ergeben und höchstens durch mechanischen Fleifi und mechanisches Auffassen mit dem Gedächtnisse so viel von ihrembesondern Fach sich anzueignen suchen, als sie glauben, dafi zu ihrer kiinftigen äufieren Existenz nothwendig sey“.^^ Diese beiden Typen von Gelehrten - teils eine Art von oberflächlichen En- « 56 Schelling, aaO. S. 242. AaO. S. 241 f.: „Erstens ist es unmöglich, sich auch nur das Empfangene richtig anzueignen, nothwendig also, dafi man es falsch anwende, da der Besitz desselben nicht auf einem lebendigen Organ der Anschauung, sondern nur auf dem Gedäcbtnifi beruht. Wie oft senden Universitäten aus ibren Schulen solche Brodgelehrte zuriick, die sich alles, was sich in ihrem Each von Gelehrsamkeit da vorfindet, vortrefflich eingeprägt haben, denen es aber fiir die Aufnahme des Besonderen unter das Allgememe gänzlich an Urtheil fehlt! Lebendige Wissenschaftlichkeit biidet zur Anschauung; in dieser aber ist das Allgemeine und Besondere immer eins. Der Brodgelehrte dagegen ist anschauungslos, er kann sich im vorkommenden Falle nichts construiren, selbstthätig zusammensetzen, und da er im Lernen doch nicht auf alle möglichen Fälle vorbereitet werden konnte, so ist er in den meisten von keinemWissen verlassen". AaO. S. 211. ■''' AaO. S. 211 f.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=