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413 die trotz aller internen Gegensätze von bedeutenden gemeinschaftlichen Interessen zusammengehalten wurde, Diese Interessen wirkten positiv fur die Beibehaltung der Militärrechts- und Disziplinarsysteme. Nach dem Zerbrechen der sozioökonomischen und politischen Gegebenheiten um die Jahrhundertwende entfiel auch die soziale und politische Basis der iiberkommenen Militarrechtsinstitute und -institutionen. Militärrecht und Disziplinarwesen wurden sozial unvertretbar. 5. Das Legalitätsprinzip hatte soziale Dimensionen, die direkt seinen praktischen Wert fiir Rechtssicherheitserwägungen determinierten. Sein Durchbruch in der Gesetzgebung des friihen 19. Jahrhunderts war weitgehend fiktiv. Zwischen theoretischer Legalität und faktischer Rechtssicherheit bestand nämlich ein fundamentaler Unterschied; die erstere umriB die formellen Grenzen der Rechtsordnung und der Anwendungsbereichc der Rechtsregeln, die letztere die tatsächliche Rechtsstellung des Einzelnen. Der Durchbruch des Disziplinarsystems bedeutete, daB eine Menge unerwiinschter militarischer Ubertretungen von einem durch positive Rechtsregeln geprägten Strafrecht in einen von Ermessen und unpraziser Administration gekennzeichneten Bereich abgedrängt wurden. Erst als dann die politische Nivellierung hinreichend weit gediehen war, waren die politischen Voraussetzungen einer Bindung des Disziplinarrechts an die Legalitätskontrolle gegeben. 6. Das Schwanken zwischen Funktion und Dysfunktion pragte die Entwicklung des Militärrechts. Durch wiederholte GesetzgebungsmaBnahmen und Anderungen der praktischen Handhabung wurde die Dysfunktion in eine annehmbare Funktion umgebildet. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren die auBeren militärischen, administrativen, allgemeinprozessualen und vor allem die politischen und sozialen Faktoren gegeben, die das Militärrechtswesen adäquat arbeiten lieBen. Die Wehrpflichtvorschläge von 1901 sowie die politischen und sozialen Wirkungen eines Wehrpflichtjahres wirkten nachdriicklicher dysfunktionierend fiir die militärischen Rechtsregeln als alles, was sich vorher ereignet hatte. Erst durch eine umfassende Reform des Straf- und ProzeBrechts sowie des Disziplinarwesens und ihre Kombination mit einer durch den Militärombudsmann ausgeiibten parlamentarischen Kontrolle des Militärwesens konnte schlieBlich die Dysfunktion des Militärrechts behoben werden.

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