408 auch die Kriegsgesetzgebungsprärogative als Argument gegen die Wehrpflichtpläne aktualisiert wurde. Zum Reichstag von 1878 muBte die Bauernpartei zwingend ihren verteidigungspolitischen Ståndpunkt in einem konkreten Programm präzisieren, um erneuten Regierungsvorschlägen zuvorzukommen. Wie schon friiher war die Einheit der Partei das Leitmotiv der Parteitaktik und zugleich ein wesentlicher Gesichtspunkt bei der Ausgestaltung der verteidigungspolitischen Forderungen und Stellungnahmen. Bestandteil dieses Programmes waren auch Vorschläge zu einer Reform der Kriegsgesetzgebung. Die Kriegsgesetze sollten so umgearbeitet werden, daB die Strafsätze gemildert und die Ermessensspielräume verringert wurden. Gleiche Taten sollten unabhängig vom militärischen Rang des Täters gleich bestraft werden, und der Untergebene sollte einen „unbezweifelbaren‘‘ Schutz vor Schikanen von Vorgesetzten und bei Klagen uber derartige Schikanen erhalten. Dieser letztere Punkt war der wichtigste des ganzen Programmes. Durch einen Initiativantrag ini Reichstag, der eigentlich nicht Bestandteil des Programms war, wurde auBerdem die Aufhebung der Gesetzgebungsprarogative gefordert. Diesem Initiativantrag konnte die gesamte Bauernpartei quer durch alle Gruppierungen mit ihren an sich widersprechenden Motiven voll und ganz zustimmen. Fiir die aufrichtigen Wehrpflichtfreunde der Partei waren zufriedenstellende militärische Rechtsverhältnisse fundamental, um den allgemeinen Widerstand gegen die Wehrpflicht abzubauen. Fiir die „Nihilisten" der Partei ergab sich hier ein Mittel des Widerstandes gegen alle Formen von Verteidigungsprogrammen, die nicht ihren wirtschaftlichen Interessen entsprachen, denn bei den Militärs, die dem Reichstag angehörten, fand der Initiativantrag keinen Beifall. Da aber der Antrag Teil eines programmatischen Angebots geworden war, das nur im ganzen angenommen werden konnte, machte Widerstand der Militärs gegen die Kriegsgesetzgebungsforderungen einen KompromiB in der Verteidigungsfrage iiberhaupt unmöglich. Wegen dieser Konstruktion war das Verteidigungsprogramm von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Sowohl die Verteidigungsfrage im allgemeinen als auch die beiden Gesetzgebungsfragen im besonderen kamen wegen unterschiedlicher Stellungnahmen der beiden Kammern nicht weiter. Die Debatten ergaben, daB die Frage der Gesetzgebung zur militärischen Rechtssicherheit nur teilweise verteidigungs- und interessenpolitisch geprägt war. 1878 wurde damit das Jahr, in dem das Rechtssicherheitsproblem im Militärbereich direkt zu Uneinigkeit der Kammern fiihrte. Diese unterschiedlichen Auffassungen sollten noch bis in das 20. Jahrhundert hinein bestehen bleiben. 1880 legten König und Regierung iiberraschend neue Verteidigungspläne
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