42 Oberzeugung, sondern strikt logisch gemäB den vorgebrachten Beweismitteln zu entscheiden hatte. Hierin kam nicht nur MiBtrauen gegeniiber dem Richter zum Ausdruck, sondern auch ein Streben nach objektiver Sachlichkeit. Die Regeln gaben einen Rahmen, aus dem sich deutlich ergab, wann richterliche Uberzeugung als vorhanden und wann sie als nicht vorhanden angesehen werden muBte. Die damit offenbar erstrebte Objektivität des Richters klingt in Bemerkungen einiger Juristen jener Zeit und auch Thomas von Aquinos an. Nach ihnen sollten Richter namlich dem Prinzip folgen: Debet sententiam ferre non secundum conscientiam sed secundum allegata. Es gab aber auch andere Juristen, die in Ubereinstimmung mit dem römischen Recht forderten, der Richter solle nach seiner Uberzeugung urteilen.^"* — Naheliegend ist jedoch, daB ein Richter, den schwerwiegende Indizien von der Schuld eines Angeklagten iiberzeugt hatten, ohne daB die Beweise formal zur Verurteilung ausreichten, dazu neigte, ein Geständnis zu erzwingen zu versuchen, das zum einen vollen Beweis bedeutete und zum anderen die Straftat notorisch machte und dadurch auch — wie gleich gezeigt werden soil — eine Appellation verhinderte."® In diesemZusammenhang erhalt die Folter ihre voile Bedeutung. Es ist schon gesagt worden, daB die Begriffe notoriumund confessio u. a. aus verfahrenstechnischen Griinden eine zentrale Stellung im römischkanonischen ProzeBrecht einnehmen. Man wollte wirksam und schnell offenbaren MiBständen abhelfen. Effektivität und Beschleunigung versuchte man auf zwei Wegen zu erreichen, zum einen durch Vereinfachung des Verfahrens und zumanderen durch Verbote der Appellation an höhere Instanzen. Schon der akkusatorische ProzeB wurde vereinfacht, wenn es um notorische Verbrechen ging. Gratian sagt dariiber unter Berufung auf Ambrosius und die Päpste Nikolaus I. und Stephanus V., bei manifesten Straftaten brauche man kein regelrechtes Strafverfahren durchzufuhren. In der Praxis bedeutete das den Verzicht auf das Eingreifen eines Anklagers und auf ein Beweisverfahren."® Dieselbe Meinung findet man auch bei den DekretisThomas ab Aquino, Summa theologica, II, II, q 67, art. 2; q 64, art. 6: 3. Siehe hierzu auch Azo, Commentaria ad C. 4, 21, 13, 1 und Diet. Grat. post C 2, q 1, c 17 et 19. — Ober Urteil auf grund eigener Oberzeugung siehe D. 22, 5, 3, 2; C 4, q 2 et 3, c 3; X 1, 9, 6; X 2, 20, 27. Carlquist, Studier, S. 171 f. Diet. p. C 2, q 1, c 14: His omnibus auctoritatibus datur intelligi, quod nullus est condempnandus, nisi iudicio ordinabiliter habito aut conuincatur, aut reum se ipse confiteatur. Verum hec de illis intelligenda sunt, quorum crimina sunt occulta; ceterum que manifesta sunt iudiciarium ordinem non requirunt. C 2, q 1, c 15: Manifesta accusatione non indigent (Ambrosius). C 2, q 1, c 16; Q«e Lotharius uester nepos rex fecit accusatione non indigent. Manifesta enim sunt opera eius .Nicolaus I). C 2, q 1, c 17 (Stephanus V, der an das Urteil des Apostels Paulus iiber den Sunder in Korinth erinnert). Siehe auch diet. Grat. p. C 2, q 1, c 15.
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