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72 Johann Adolfs Gerichtsrechte wurden jedoch nicht vollständig von der Kanzlei wahrgenommen, sondern zum Teil auch von ihm untergebenen Untergerichten unter anderem durch Amtmänner.^-^ Die Entwicklung verlief jedoch in Richtung auf eine erheblich umfassendere Verwendung der Kanzlei als erstinstanzliches Forum. Wie oben erwähnt, reagierten die Stände gegen diese Erweiterung der erzbischöflichen Gerichtsbarkeit. Sie betrachteten das Gerichtswesen des Erzstiftes zum Ende des 16. und während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als eine confusio instantium. Beispielsweise wurden Adlige sowohl vor die Kanzlei als auch vor das Hofgericht geladen, und Adlige reichten ihre Klagen bei der Kanzlei ein. In einer Relation des Kammer- und Kanzleirates Nikolaus Höpke (geadelt von Höpken) von 1649 an Königin Christina iiber den Zustand des bremischen Staates wurde generell gesagt, daB sogar Hausleute ihre Klagen bei der Kanzlei anbrachten.--^ Ein unmittelbarer Grund fiir die Beliebtheit der Kanzlei war nach Höpke vor allem die Permanenz ihrer Tätigkeit und ihr schnelles Verfahren. Die Stände gaben andere Erklärungen. Sie sahen den Grund in erster Linie darin, daB die Kanzlei nach den Vergleichsversuchen, zu denen sie die Parteien lud, ihnen keine Möglichkeit mehr lieB, sich an die jeweiligen ordentlichen Gerichte zu wenden, sondern selbst entschied. Zudem zog der Erzbischof die Sachen, die an das Hofgericht gehörten, per viam mandatorumsive praeceptorumpoenaliuman die Kanzlei.--® Auch die ordentliche Appellation an den Hof, die in der Kanzleiordnung von 1593 erwähnt wird, entzieht sich einer klaren Schilderung. Wie oben erwähnt, bestanden nach geschriebenem Recht nur zwei Appellationsgerichte im Erzstift, der Landtag und das Oberlandgericht. Die Appellationen, die während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bei erklärte, dafi Domkapitel, Prälaten, Adel und Städte jeweils vor dem Hofgericht oder ihrem jeweiligen Gericht ihren Gerichtsstand haben sollten, mit Ausnahme jedoch der enormia et capitalia delicta, die unter die Jurisdiktion des Erzbischofs gehörten. Vgl. oben Kap. 3.2.1.2.1. S. 67 fiber das Hofgericht. Im Edikt vom ProzcB in Zauberei-Sachen von 1603, dessen ProzeBvorschriften in Strafsachen allgemein giiltig waren (Kap. 3.2.2.2.) wurde gesagt (pr.), daB sich das Edikt an „unsern Trosten, Amptleuten, Grefen, Burgermeistern, Hauptleuten, Richtern undt alle denjenigen, so peinliche Halsgerichte von uns oder unserntwegen oder sonsten haben undt gebrauchen“ richte. —Weise: Edikt S. 52. Ober die Kompetenz des Landgerichts schreibt Höpke: „. . . daselbst die Hauptleute welche entweder Armuth halber in der Cantzlei nicht geklaget . . . Ihre Streitigkeit vorgebracht.“ RA; Bremensia vol. 137. Der Erzbischof bestritt seinerseits eine Kompetenziiberschreitung. In einer Renovation zur Kanzleiordnung vom 28. Mai 1619 kam er jedoch den Ständen entgegen und schrieb, daB niemand die ordentlichen Gerichte iibergehen und eine Klage bei der Kanzlei einreichen diirfe. Diese Bestimmung wurde aber nicht befolgt. — Schleif: Regierung S. 140. 220

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