70 Der EinfluB der Rate fiihrte zu einer immer deutlicheren Konkurrenz zwischen dem ordentlichen Appellationsgericht, dem von den Ständen beherrschten Oberlandgericht, und dem Rätekollegium, das sich zunehmend Gerichtsbarkeiten in Sachen, die von Untergerichten kamen und eigentlich vom Oberlandgericht entschieden werden sollten, zusprach. Bis zur schwedischen Intervention kann man das Oberlandgericht allerdings als Appellationsinstanz fiir die Untergerichte ansehen. 3,2.1.2.3. Die Kanzlei ImErzstift wurde wie in vielen anderen deutschen Territorien die Kanzlei des Landesherren, d. h. des Erzbischofs, zur Regierung und zur Verwaltungszentrale des Territoriums. Während des 16. Jahrhunderts wurde sie wie auch Kanzleien anderweitig in eine geheime Sphäre mit dem Schwerpunkt auf Kammerangelegenheiten und eine gemeine Sphäre, in der die „rechtes und gemeinen sachen“ entschieden wurden, aufgeteilt.--*^ In der fiir diese Darstellung zentralen gemeinen Sphäre iibte der Erzbischof zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich umfangreiche Gerichtsbarkeit aus. Charakteristisch fiir diese Tätigkeit um die Wende zum 17. Jahrhundert war die schon erwähnte Kompetenzkonkurrenz mit der Rechtsprechung der Stände im Hofgericht und Oberlandgericht. Die Kanzlei wurde praktisch zu dieser Konkurrenz provoziert, da sie die Schreibarbeit und die Aktenfiihrung fiir das Hofgericht, das Oberlandgericht und das Landgericht zu besorgen hatte. Bei der Kanzlei muBten auch die Hofgerichtsklagen und die Appellationen an das Oberlandgericht eingereicht werden. AuBer Schreibstube und Geschäftsstelle war die Kanzlei Organ der Gerichtsbarkeit, die der Erzbischof durch seine Räte wahrnahm. Die allgemeine erzbischöfliche Gerichtsbarkeit war in einem RezeB von 1525 festgelegt, allerdings ohne nähere Umschreibung der Kompetenzen. Es wurde dort nur gesagt, daB „cantzler, drosten und ampten oder andere vororndte rethe, de Sein Lebe dartzu vorseen wurde“ dieanstehenden Sachen entscheiden sollten. Wichtigere Sachen, die „allein fur der cantzelie nicht mochten oder konden entscheiden werden“, sollten an „die verordneten Stiftsräte“ und von ihnen an das Hofgericht verwiesen werden. Die Räte der Kanzlei hatten auch das Recht, iiber alle an den Erzbischof gerichteten Suppliken zu entscheiden, soweit sie Sachen der Billigkeitsrechtspflege betrafen. Zudem scheint die Kanzlei auch Appellationsverfahren „alhier zu 221 220 Schleif: Regierung S. 124. Schleif: Regierung S. 130 ff. 221
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