RB 24

284 unbegrenztes Appellationsprivileg erhielt. Während der Verhandlungen wurde die entsprechende Forderung von schwedischer Seite erst verhältnismäCig spat vorgetragen. In gröBeren Zusammenhängen gesehen war es jedoch natiirlich, daC diese Forderung erst erhoben wurde, als man die Justizfrage, d.h. die Frage nach der zukiinftigen Stellung der Reichsgerichte erörterte. In dieser Frage hatte Schweden im Sommer 1646 fiir DezentralisierungsmaCnahmen und damit eine Schwächung der Rechtsstellung des Kaisers pladiert.^®^ Diese Dezentralisierung hätte die Schaffung dreier gleichwertiger Reichsgerichte bedeutet, eines in Wien fur den Kaiser, eines in Speyer fiir die Franzosen und eines unter schwedischem EinfluB fiir die deutschen Territorien im Norden. DaB diese Gerichte in ihrer Kompetenz von einander völlig unabhängig, exemt sein sollten, ist der vorgeschlagenen Konstruktion immanent. Etwa gleichzeitig forderte Schweden, daB die der schwedischen Krone im Frieden zuerkannten Territorien der Kompetenz der Reichsgerichte entzogen sein sollten. Die Initiative hierzu kam aus Stockholm. Die schwedischen Gesandten in Osnabriick deuteten Stockholmer Anweisungen nicht als Forderung nach einem Appellationsprivileg traditioneller deutscher Prägung, sondern als Wunsch nach einem rechtlich extremen Exemtionsprivileg des Inhaltes, daB die Appellation nicht im Territorium stattfinden, sondern nach Stockholm gehen sollte. Diese Auslegung der Gesandten entsprang bisher allgemein akzeptierten staatsrechtlichen Anschauungen, die in der Appellationsentscheidung ein Majestätsrecht sahen. Die Stockholmer Forderung durchzusetzen, hielt Salvius, der mit den Kompetenzproblemen der deutschen Reichsgerichte wohl vertraut war, fur direkt unmöglich. Dutch eine Anerkennung der schwedischen Krone als Mitglied des deutschen Reichsverbandes wiirde aber andererseits jede Rechtsstellung im Verhältnis zum Kaiser allodialen Charakter bekommen. Auf jeden Fall hielt Salvius es fiir realistisch, ein unbegrenztes Appellationsprivileg zu begehren, wie es später dem Kaiser gegeniiber gefordert und von ihm bewilligt wurde. Bezeichnend ist, daB Salvius — in den deutschen Angelegenheiten erheblich erfahrener als Johan Oxenstierna — in diesen Teilen die Verhandlungen völlig allein fiihrte. Das Appellationsprivileg war ein Element der verfassungsrechtlichen Lage, die die Schweden in Osnabriick schaffen konnten. In der deutschen Verfassungsgeschichte ist es einzigartig. Es ist das einzige Privileg, das einem Territorium nicht aus Rang- oder Verdienstgriinden als ein bene18* Auch in einem spateren Stadium der Verhandlungen, im Mai 1647, kam dieses Streben der Schweden zum Ausdruck. Schweden war in diesem Sinne aktiv daran beteiligt, daB die Schweiz der Kompetenz der Reichsgerichte entzogen wurde. — Odhner: Politik Schwedens S. 256 f. Dickmann: Frieden S. 438 f. Vgl. auch Sellert: Zuständigkeitsabgrenzung S. 41 f.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=