226 das Deutsche Reich einer Reichsgemeinschaft näher zu brlngen. Das neue Gericht wurde in organisatorischer Hinsicht in vielem ein Reichsgericht der Reichsstände. Nur der Präsident des Gerichts, der Kammerrichter, wurde vom Kaiser ernannt. Die Beisitzer —urspriinglich 16 und seit 1521 bis zu 50 —wurden von den Reichsständen ausersehen und entlohnt. Die Hälfte der Beisitzer sollten der Ritterschaft angehören und die andere Halfte aus graduierten Juristen bestehen. Die Urteile des Gerichtes sollten im Namen des Kaisers ergehen. Das RKG wurde vom Kaiser in Frankfurt am Main am 31. Oktober 1495 eingeweiht. Während der ersten Jahre seiner Tätigkeit trat es an verschiedenen Orten zusammen (Niirnberg, Regensburg, Worms) und erhielt ab 1526 einen festen Sitz in Speyer, wo es bis 1688 verblieb. Ab 1693 hatte das Gericht seinen Sitz in Wetzlar. Das RKGwar —zumindest was die Tätigkeit während der ersten Jahre nach seinem Entstehen betrifft — vor allem ein Appellationsgericht.- Im Laufe der Zeit verlagerte sich die Tätigkeit jedoch immer mehr auf erstinstanzliche Verfahren, hauptsächlich Landfriedensbruch- und Rechtsverweigerungssachen,^ aber auch Sachen, die das Gericht als Forum fiir Reichsunmittelbare entschied.'* Als ProzeBordnung gait fiir das RKG die Reichskammergerichtsordnung, die schon 1495 vorlag. Eine zweite, wesentlich veränderte Fassung wurde auf dem Wormser Reichstag von 1521, eine dritte auf dem Reichstag in Augsburg 1548 und eine vierte 1555 angenommen.^ Die Annahme der letztgenannten Kammergerichtsordnung bedeutete einen Erfolg der Protestanten; denn ihnen wurde durch sie das Recht zuerkannt, Richter und Bedienstete am Gericht zu sein. Das fiihrte zu der sonderbaren Konsequenz, daB die Lutheraner amGericht einen Eidleisteten, in dem sie sich verpflichteten, das kanonische Recht bei ihrer Tätigkeit anzuwenden,® Maximilian I. sah bald ein, daB das Zustandekommen des RKG die Möglichkeiten zu persönlicher Ausiibung des kaiserlichen Rechtsprechungs- * Smend: Reichskammergericht S. 71. — Zum RKG als Appellationsgericht Weitzel: Kampf S. 351 ff. Bross: Untersuchungen S. 20 ff. — Zu den Appellationssachen aus Liittich in den Niederlanden Neve; Rijkskamergerecht S. 244 ff. * Vgl. hierzu Kap. 5.1.2. S. 228. * Sellert: Zuständigkeitsabgrenzung S. 5 ff. Smend: Reichskammergericht S. 71 ff. Vgl. Forsthoff: Verfassungsgeschichte S. 14 f. — Ubersichten mit Literaturhinweisen bei Gudian in Going; Handbuch I S. 407. Kroeschell: Rechtsgeschichte II S. 255 ff. — Vgl. auch zu den Niederlanden Neve: Rijkskamergerecht S. 16. ® Smend: Reichskammergericht S. 23 ff., 179 ff. — Wegen zunehmenden Umfanges ergänzender Bestimmungen beschloC Kaiser Rudolf II., daB die Reichskammergerichtsordnung und alle Änderungen und Ergänzungen nach 1555 in einem Band, dem „Cammer Concept'* gesammelt werden sollten. Ein Entwurf wurde vom Reichstag 1613 angenommen, erlangte aber nicht Gesetzeskraft. Er wurde der Arbeit des Reichskammergerichts dann aber praktisch zu Grunde gelegt. — Sellert; Zuständigkeitsabgrenzung S. 7. ® Forsthoff: Verfassungsgeschichte S. 23.
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